Mein Ist Die Nacht
dass Sie hier sind.« Es klang, als würde sie
sich tatsächlich über die Besucher freuen.
»Mein Gott, ist
Ihnen etwas passiert?«, rief Franka.
»Ich habe das
Gleichgewicht wieder hergestellt«, erwiderte Karla Baumann im
Plauderton. Ein kalter Wind pfiff um die dicken Mauern des Hauses,
und Franka fröstelte.
»Es ist kalt
heute Nacht, und wir haben Vollmond, sehen Sie nur.« Ihr
Blick glitt an Franka und Micha vorbei. Sekundenlang blickte sie
mit einem versonnenen Lächeln auf die silbrige Scheibe des
Mondes, der Franka heute besonders groß erschien. Es war, als
hätte sich der Erdtrabant der Erde bis auf wenige Kilometer
genähert. Sie warf Micha einen Blick zu, der nickte
unauffällig, und sie kannte ihn bereits gut genug, um zu
wissen, dass er ähnlich dachte wie sie. Entweder stand Karla
Baumann unter einem schweren Schock oder sie war geistig verwirrt.
Die wohlhabende Witwe schien mit dem Verlust ihres Mannes doch
nicht zurechtzukommen. Dennoch versetzten ihre blutverschmierten
Hände und das Gesicht, das an eine schreckliche Maske
erinnerte, Franka und Micha in Alarmbereitschaft.
»Kommen Sie doch
herein«, flötete Karla Baumann und gab den Eingang frei.
Erst jetzt bemerkte sie, dass Micha den Computer ihres Mannes
mitgebracht hatte.
Micha hatte
beschlossen, dass es wohl besser war, Karla Baumann zu einem
späteren Zeitpunkt noch einmal auf ihren Zustand anzusprechen.
»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, das Ihrem Mann
gehört. Wir haben es bei seinem Mörder
gefunden.«
»Das ist ja
interessant.«
Weder Franka noch
Micha wussten den seltsamen Unterton in ihrer Stimme zu deuten. Sie
tauschten einen Blick miteinander, bevor sie das Haus betraten. In
der Halle brannte Licht, und sie sahen, dass auch die Kleidung der
Hausherrin verschmutzt war und tiefrote Blutflecken
aufwies.
»Ich war so frei
und habe Ihnen die Arbeit abgenommen«, erklärte sie, als
sie die Blicke der Beamten sah.
»Wovon reden
Sie, Frau Baumann?« Franka griff in ihre Tasche und legte
eine Hand an den Griff ihrer Waffe. Hier stimmte etwas nicht, und
das seltsame Verhalten und der desolate Zustand Karla Baumanns
waren Belege dafür. Vielleicht hätten sie
Verstärkung anfordern sollen. Doch es war bereits zu
spät, denn wenn von Karla Baumann eine Gefahr ausging, dann
waren sie ihr bereits in die Falle
gegangen.
Karla Baumann begann
zu sprechen. Sie senkte den Blick und spielte mit ihren schlanken
Händen, an denen das verkrustete Blut klebte.
»Kötter ist
tot.«
Die Kommissare
schauten einander wortlos an. Und dann wieder zu Frau Baumann.
»Sie sollten wissen, dass ich ein Verhältnis mit ihm
hatte. Er war jung, attraktiv und … irgendwie anders. Er hat
mich von der ersten Minute an in seinen Bann gezogen, und so
begannen wir hinter dem Rücken meines Mannes eine Affare.
Hinzu kam, dass wir … die gleichen Neigungen hatten, wenn
Sie verstehen?«
»Nein, ich
verstehe gar nichts«, brauste Micha auf und fing sich
dafür prompt einen bösen Blick von Franka an. Nach den
Ereignissen und dem Schlafmangel in den vergangenen Tagen lagen
seine Nerven jetzt offensichtlich blank.
»Dann werde ich
es Ihnen erklären. Sicherlich haben Sie schon einmal davon
gehört, dass es Vampire gibt. In Wirklichkeit, nicht im Film.
Und bitte halten Sie mich nicht für verrückt. Das, was
ich Ihnen erzähle, entspricht der Wahrheit. Wir sind es. Keine
Untoten, keine Zombis oder so was. Wir sind Geschöpfe der
Nacht und verzehren uns nach dem Blut der Menschen. Und Clay war
einer von uns.«
»Es gibt viele
Irre, die von sich behaupten, Vampire zu sein.« Micha
schüttelte den Kopf.
»Clay?«
Franka stutzte. »Sein Name ist Kai
Kötter.«
Karla Baumann sprach
ausschließlich mit Franka. Sie strafte Micha für sein
aufbrausendes Verhalten mit Ignoranz.
»Sie irren, Frau
Kommissarin. Er heißt Clay Ferguson und war der Sohn eines
britischen Soldaten und einer Deutschen. Als der Vater aus
Deutschland weg versetzt wurde, wuchs Clay alleine bei seiner
Mutter in Wuppertal auf. Als junger Mann ging er dann zu seinem
Vater nach England und geriet dort auf die schiefe Bahn. Als er
nach Deutschland kam, weil ihm auf der Insel die Luft zu dünn
wurde, nahm er eine neue Identität an. Das ist mit den
richtigen Beziehungen ein Kinderspiel, aber das muss ich Ihnen
sicherlich nicht erzählen. Sie haben es schließlich
täglich mit gefälschten Ausweispapieren zu
tun.«
»Sie sagten, ihm
wurde in Großbritannien die Luft zu dünn. Wie meinen
Weitere Kostenlose Bücher