Mein Ist Die Nacht
seines ersten Donars war in allen Formaten durch die
Medien gegangen. Zeitungen, das Radio und sogar die Fernsehsender
hatten von der schrecklich zugerichteten Frauenleiche berichtet,
die von ihrem Mörder eiskalt nach vollbrachter Tat hier
abgelegt worden war. Er nahm kurz den Fuß vom Gas und
verdrängte, dass die Bullen ihm auf den Fersen waren.
Inzwischen gab es eine große öffentliche Anteilnahme am
Fundort von Mandy: Man hatte Blumen aufgestellt und Kerzen, man
hatte Schilder gemalt mit der Aufschrift Warum ? und einige Stofftiere
hingelegt.
Die
Öffentlichkeit wusste, dass er in der Stadt war.
Man hatte zur Jagd auf
den Mörder geblasen.
Doch sie würden
ihn niemals kriegen. Erst als hinter ihm der Fahrer eines rostigen
Japaners hupte, beschleunigte Kötter den Lieferwagen. Es war
Zeit, unterzutauchen und die Taktik zu ändern. Immerhin
wussten sie jetzt, wer er war und wo er wohnte. Kötter kam in
den Sinn, dass er seine Wohnung nie wieder aufsuchen konnte. Sie
war zum Tatort geworden und wurde sicherlich von der Polizei mit
einem neuen Türschloss versehen. Spätestens morgen
würden sie ihm die Bude auf den Kopf stellen und alle Spuren
sichern. Seine DNA befand sich überall in der Wohnung, im Bad,
im Schlafzimmer, auf dem Boden. Ein Abgleich würde Klarheit
schaffen - es gab keinen Zweifel daran, dass er hinter den Morden
steckte. Und dann war die Hetzjagd auf ihn eröffnet. Sie
würden ihn im ganzen Land jagen.
Während er den
Alten Markt erreichte, fasste er einen neuen Entschluss: Kai
Kötter musste sterben. Er überlegte sich eine neue
Strategie, stoppte den Wagen an einer Bushaltestelle, zog das Handy
erneut aus der Tasche und aktivierte es. So leicht würde er es
den Polizisten nicht machen.
77
14.30
Uhr
Das Schild mit der
Aufschrift »Spedition« war mit rostigen Schrauben an
einem der Rolltore der Rampe am ehemaligen Güterbahnhof
befestigt. Allein der Begriff »Spedition« war
maßlos übertrieben. Die Firma, für die Kai
Kötter im Nachtdienst als Kurierfahrer tätig war, lag in
einem ehemaligen Schuppen am Unterbarmer Bahnhof und teilte sich
das heruntergekommene Grundstück mit einem
Gerichtsvollzieher.
Drüben an den
Laderampen herrschte geschäftiger Betrieb. Es roch nach
Diesel, Öl und Gas. Zwei Gabelstapler waren damit
beschäftigt, an der Rampe parkende Lastwagen zu entladen. Das
Poltern der Metallgabeln schallte über den unbefestigten
Platz. Meilinghaus rümpfte anhand des Gasgeruchs, den die
Stapler verbreiteten, die Nase. Birgit Hanser zuckte die Schultern.
Meilinghaus hatte erfahren, dass der Sprinter, der zur Fahndung
ausgeschrieben war, zu dieser Spedition gehörte. Irgendwann
musste Kötter samt Fahrzeug hier auftauchen. Da er die
Nachtschichten fuhr, würde das wahrscheinlich am späten
Nachmittag der Fall sein.
Sie konnten warten, um
ihn dann hier in Empfang zu nehmen und ihm die Handschellen
anzulegen. Wenn das gesuchte Fahrzeug nicht schon den Kollegen der
Streife in die Hände geriet - hier würden sie ihn ganz
bestimmt finden. Meilinghaus sah keinen Grund zur Eile, als er an
Hansers Seite die kleine, ausgetretene Steintreppe, die zur Rampe
hinaufführte, erklomm. Sie betraten den Lagerschuppen durch
eines der offen stehenden Rolltore und fanden sich in einem
Palettenlager wieder. Arbeiter waren damit beschäftigt, den
Gabelstaplern die Paletten zuzuführen.
»Schön
hier«, brummte Frank Mellinghaus mit einem schiefen Grinsen.
Birgit Hanser verkniff sich einen Kommentar. Sie blickte sich
suchend um, doch der Chef der Firma schien nicht anwesend zu sein.
Sie wandte sich an einen der Staplerfahrer und fragte nach Klaus
Viehring, dem Inhaber der Transportfirma.
»Sitzt
drüben im Büro, schöne Frau.« Er taxierte
Hanser und grinste blöd.
»Danke.«
Sie ließ ihn stehen und blickte in die angegebene Richtung.
Weiter hinten gab es einen hölzernen Verschlag mit
Plexiglasscheiben. Das ist also das Büro dieser Spedition,
dachte Hanser. Sie klopfte an die Tür und wartete vergeblich
auf ein »Herein«. Nach ein paar Sekunden des Wartens
öffnete sie die Tür und schlüpfte in den
Holzverschlag, in dem es nach Zigarettenrauch und angebranntem
Kaffee stank. Ein vollleibiger Mann Anfang fünfzig
blätterte in einer Ladeliste. Als er die Besucher bemerkte,
blickte er entnervt auf.
Birgit Hanser stellte
sich und Mellinghaus vor, zeigte den Dienstausweis und kam gleich
auf den Punkt, während Mellinghaus sich in dem kleinen
Büro umblickte. An einer Wand gab es eine
Weitere Kostenlose Bücher