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Mein Ist Die Nacht

Mein Ist Die Nacht

Titel: Mein Ist Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schmidt
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bereichern. Brackwede hatte
bereits mit seiner Frau Renate telefoniert und ihr
angekündigt, dass er wohl die Nacht im Präsidium an der
Friedrich-Engels-Allee verbringen würde, da sich die Arbeit
aufgrund der schrecklichen Mordreihe in seinem Büro
häufte. Tatsächlich war in Wiesingers Rechner eine Zwei-
Terrabyte-Festplatte verbaut, und es würde seine Zeit dauern,
den Massenspeicher zu spiegeln, bevor er sich ans Werk machen
konnte. Erschwerend kam hinzu, dass Wiesinger die relevanten Daten
mit Passwörtern geschützt hatte, die es zu umgehen
galt.
    Micha streckte sich
und gähnte herzhaft.
    »Lass uns
Schluss machen für heute«, schlug Franka vor. »Das
bringt alles nichts. Wir müssen einfach abwarten, bis
Kötter den Kollegen ins Netz geht. Er kann sich ja nicht in
Luft aufgelöst haben.«
    »Nichts da, so
leicht lasse ich mich von dem Kerl nicht an der Nase
herumführen.« Micha schüttelte den Kopf und
zündete sich eine Zigarette an. Der würzige Geruch von
Tabak erfüllte das Büro. Unten auf der Friedrich-Engels-
Allee floss der Verkehr zügig vorbei. Das Tief der letzten
Tage war weitergezogen und hatte die schweren Wolken mitgenommen.
Auch wenn der Asphalt noch feucht war, so herrschte zumindest keine
Straßenglätte mehr. Die Temperatur war in den letzten
Stunden um mehr als fünf Grad angestiegen. Die Männer vom
Winterdienst konnten in dieser Nacht wohl ihr Schlafdefizit der
letzten Tage nachholen. Erst waren graue Regenwolken über der
Stadt aufgezogen, die jedoch von einem starken Ostwind vertrieben
worden waren.
    »Nun kann
Weihnachten kommen«, brummte Micha. »Erst wenn es mehr
als fünfzehn Grad sind, dann ist in Wuppertal
Heiligabend.«
    »Bis dahin will
ich Kötter im Gefängnis wissen«, erwiderte Franka
und erhob sich. Ihre Glieder schmerzten, sie versuchte die bleierne
Müdigkeit abzuschütteln und marschierte ein paar Schritte
durch das Büro, in dem nur die kleine Arbeitslampe auf Michas
Schreibtisch für Helligkeit sorgte. »Wie wäre es
mit einem kleinen Ausflug?«
    Micha starrte sie an,
als würde Franka an geistiger Umnachtung leiden, doch sie nahm
bereits die dicke Jacke vom Haken und gab ihm ein Zeichen,
mitzukommen. Er war zu müde, Widerstand zu leisten und erhob
sich seufzend, nachdem er den Rest der Zigarette im Aschenbecher
ausgedrückt hatte.

 
    82
    19.40
Uhr
    Mit der Schwebebahn
war er von der Station Loh aus bis zur Endstation in Oberbarmen
gefahren. Hier hatte er sich in eines der wartenden Taxen gesetzt
und dem Fahrer die Zieladresse genannt, bevor er jetzt sichtlich
erschöpft in die Kunstlederpolster des alten Mercedes
zurücksank. Der Fahrer beobachtete seinen Fahrgast eine
Zeitlang im Innenspiegel, dann verlor er das Interesse an dem
unheimlichen Mann mit dem langen schwarzen Wintermantel und dem
hochgestellten Kragen. Sein Gesicht lag im Schatten der breiten
Hutkrempe. Natürlich hatte er den Lieferwagen nicht mehr zur
Spedition gebracht, sondern in einer ruhigen Seitenstraße in
Unterbarmen abgestellt. Der Weg zur Firma war zu riskant geworden,
denn es lag auf der Hand, dass er dort von der Polizei in Empfang
genommen worden wäre. Viehring musste sich die Kiste schon
selber abholen, wenn er seinen Sprinter unbedingt brauchte. Er
würde seinen Arbeitgeber wohl sowieso niemals wiedersehen.
Aber er war sicher, dass es zig andere Möglichkeiten gab, um
Geld zu verdienen.
    Was bedeutete schon
Geld?
    Macht, Macht und noch
mal Macht? Nein, es gab mehr. Und auch die Macht würde er auf
anderem Wege erreichen. Mit einem zufriedenen Grinsen sank er auf
die Rückbank und betrachtete die heruntergekommenen
Häuserzeilen der Schwarzbach, die an ihm vorüberzufliegen
schienen. Ein sozialer Brennpunkt. Armut, Arbeitslosigkeit und der
völlig wirre Mischmasch der unterschiedlichsten Kulturen
prallten hier täglich aufeinander. Die Kriminalitätsrate
in diesem Teil von Oberbarmen lag denkbar hoch. Schon bald wurde
die Bebauung spärlicher, und das Taxi passierte die
Stadtgrenze.
    Niemand würde ihn
finden.
    Die Gegend wurde im
Norden der Stadt ländlicher. Eine Landstraße führte
kilometerweit geradeaus, vorbei an Waldstücken und
ausgedehnten Weidelandschaften. Er ließ sich mit dem Taxi bis
nach Gevelsberg bringen, wo er am Freizeitbad ausstieg. Nachdem er
die Rechnung beglichen hatte, betrat er die Eingangshalle des
Spaßbades und ließ sich von einer jungen Angestellten,
die ihn mit seltsamen Blicken bedachte, ein Taxi rufen. Immerhin
stellte sie keine Fragen.
    Das Taxi

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