Mein Ist Die Nacht
so sicherstellen, dass sie niemand
erkannte, vor allem aber Thomas Belter nicht. Doch eines hatte sie
vergessen: Das Tattoo auf dem Rücken. Es war so auffallend,
das Franka es auch jetzt wiedererkannte. Somit stand fest, dass
Mandy Klimmek nebenbei angeschafft hatte. Dass ihr Freund von ihrem
Tun gewusst hatte, wagte Franka zu bezweifeln. Unter der Anzeige
stand eine Kontakt- E-Mailadresse und das, was Nancy für Geld
alles tat. Franka sicherte die Seite im Favoritenordner, dann
schaltete sie den Laptop aus und leerte das Weinglas. Was hatte
Nancy-Mandy mit all dem Geld gemacht, das sie eingenommen hatte? In
welcher Verbindung stand das Modeln mit der Tätigkeit als
… Hobbyhure? Das Wort kam Franka widerwillig über die
Lippen. Aber es hatte sich in ihr festgesetzt. Die Gedanken rasten
ihr durch den Kopf, aber sie war todmüde und etwas wackelig
auf den Beinen, was sicherlich auch an dem Wein lag, den sie
getrunken hatte. Franka schaltete das Licht aus und wankte unter
permanentem Gähnen hinüber ins Schlafzimmer, zog sich aus
und krabbelte unter die Bettdecke. Kaum, dass sie die kleine
Nachttischlampe gelöscht hatte, war sie auch schon
eingeschlafen.
29
21.30
Uhr
Er erwachte erst
lange, nachdem sich die Dunkelheit über dem Land ausgebreitet
hatte und die Lichter der Stadt angegangen waren. Er trat an das
Fenster, von dem aus er auf die viel befahrene Hauptstraße
hinunter blicken konnte. Eine Schwebebahn zog wie ein beleuchteter,
metallener Lindwurm seine Bahn am lindgrünen Gerüst.
Gegen Abend hatte erneut Schneefall eingesetzt und die Stadt mit
einer puderzuckerdünnen, weißen Schicht überzogen.
Die Autos auf der Straße kamen nur im Schritttempo voran.
Vermutlich hatten diese Idioten keine Winterreifen und gerieten bei
der ersten Schneeflocke, die auf der Straße liegen blieb, ins
Schlingern - oder sie schissen sich in die Hosen vor Angst, an
einem Laternenpfahl zu landen.
Ihm war es egal, er
musste nicht raus in dieser Nacht.
Die Wohnung war ihm
besorgt worden, um hier für ein paar Tage Unterschlupf zu
finden. Vielleicht würde er es riskieren, morgen in die
eigenen vier Wände zurückzukehren.
Heute hatte er nichts
vor. Endlich hatte er seine Tötungsfantasien ausgelebt,
endlich war er dem Drang, Blut zu trinken und warmes, pulsierendes
Menschenfleisch zu essen, nachgekommen. Er hatte Macht gehabt
über Leben und Tod. Und er hatte sich für den Tod
entschieden. Seine Gier war gestillt. Zwei Opfer in der letzten
Nacht, das war kein schlechter Schnitt. Der Gedanke an das, was er
mit der hübschen Mandy getan hatte, genügte, um ihn zu
erregen. Aber er hatte sich in der Gewalt. Eine lange Suche war in
der letzten Nacht für ihn zu Ende gegangen: Die Suche nach
seinem eigentlichen Ich. Er hatte sich schon seit langem anders
gefühlt, ohne zu wissen, was ihn vom Großteil seiner
Mitmenschen unterschied. Es hatte damit begonnen, dass er die
Menschen in seinem persönlichen Umfeld plötzlich anders
gesehen hatte. Auf einmal war ihm das, was er als vertrautes Umfeld
kennen gelernt hatte, fremd und irrwitzig erschienen. Er hatte
begonnen, Fragen zu stellen. Die Welt, in die er hineingewachsen
war, war ihm fremd geworden, sinnlos erschienen.
Er hatte es das
Erwachen genannt - sein Erwachen, das Erwachen eines neuen Egos.
Eine Veränderung hatte tief in ihm stattgefunden, und er hatte
sich zu Dingen und Personen hingezogen gefühlt, die er vorher
nie beachtet oder für völlig realitätsfern erachtet
hatte. Zwischenzeitlich war er tief verunsichert gewesen und hatte
viel nachgedacht und viel gelesen.
Dann hatte er diese
Seite im Internet gefunden.
Es gab viele Menschen,
denen es ähnlich erging wie ihm selber.
Sein neues, anderes
Wesen hatte er plötzlich bewusster empfunden.
Hatte er früher
die Sonne angebetet, so konnte er nunmehr kaum die nächsten
Vollmond-Nächte abwarten. Friedhöfe, ein Ort der Trauer
und des Vergehens, zogen ihn magisch an.
Omne initium
difficile est…
Aller Anfang ist
schwer. So hatten sie ihn empfangen und ihm den Weg in die neue
Welt des Seins gewiesen. Er hatte sich bald schon zurechtgefunden
in seinem neuen Leben und mied seitdem den Tag.
Und er war sehr
schnell viel weiter gegangen als die anderen.
Jetzt ist es an der
Zeit, alte Freundschaften zu pflegen, dachte er sich mit einem
diabolischen Grinsen auf den Lippen, als er das dunkle Wohnzimmer
durchquerte und den Computer einschaltete. Das blaue Flimmern des
21-Zoll-Monitors war die einzige Lichtquelle im
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