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Mein Ist Die Nacht

Mein Ist Die Nacht

Titel: Mein Ist Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schmidt
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Flur zusammenbrach, bekam Roland
schon nicht mehr mit. Zu tief hatte sich der Schmerz der Eifersucht
in sein Herz gefressen.

 
    Donnerstag
    _______________

 
    31
    0.10
Uhr
    Sie antwortete nicht.
Mehrfach hatte er sie schon aufgefordert, ihm zu antworten. Er
wollte ein Treffen mit ihr vereinbaren, sehen, ob sie wirklich auf
einer Wellenlänge lagen. So wie es aussah, war Rebecca eine
dankbare Sklavin. Sie würde sich ihm widerstandslos hingeben
und ihm willig ein Blutopfer bringen, daran bestand jetzt schon
kein Zweifel. Er hatte sich vorbereitet auf sein nächstes
Opfer, wusste längst, wie sie mit bürgerlichem Namen
hieß und wo sie wohnte. Das tat er immer, so auch bei
Rebecca. Einmal hatte sie ihm sogar ein Foto als Mail-Anhang
geschickt. Sie war ein hübsches Ding, hatte lange rote Haare,
ausgeprägte Wangenknochen, eine kerzengerade Nase, grüne,
katzenhafte Augen und volle Brüste. Ihre Haut war angenehm
blass, wirkte wächsern, und Schminke hatte Rebecca nicht
nötig. Er hätte sich fast in sie verliebt.
Unwillkürlich rief er das Foto auf, das sie ihm zugeschickt
hatte. Ein Treffen wollte er nicht mehr auf die lange Bank
schieben, und wenn er vorsichtig agierte, würde sie ihm
vielleicht sogar mehrmals dienen.
    Rebecca war, so schien
es, eine leichte Beute.
    Doch nun antwortete
sie nicht.
    Unruhe ergriff von ihm
Besitz, er sprang vom Schreibtisch auf und wanderte durch seine
dunkle Wohnung. Trat an das Fenster, zog die blickdichten Gardinen
einen Spalt breit auseinander und blickte hinaus in die Nacht.
Dicke Schneeflocken taumelten zu Boden wie Betrunkene, und es hatte
sich bereits eine geschlossene Schneedecke auf der Fahrbahn
gebildet. Mit dem Transporter konnte er unmöglich noch einmal
losfahren.
    Die bunte
Weihnachtsbeleuchtung in den Fenstern des gegenüberliegenden
Hauses betrachtete er mit unverhohlenem Spott. Wie albern die
Menschen doch in jedem Jahr wurden, wenn es auf Weihnachten zuging.
Der Stern im Wohnzimmerfenster gegenüber blinkte in
wechselnden Farben und warf den kitschigen Lichtschein hinaus in
die Winternacht, wo der jungfräulich frische Schnee ihn
reflektierte.
    Rebecca meldet sich
nicht mehr, hämmerte es in ihm. Er musste nach ihr sehen.
Eilig ging er zur Garderobe, stieg in die schweren schwarzen
Lederstiefel und schlüpfte in den langen Mantel, bevor er die
Wohnung verließ. Auf der Straße angekommen, verharrte
er einen Augenblick und atmete tief durch. Sekundenlang erinnerte
er sich an seine Kindheit, an den Moment, als er auf den ersten
Schnee gewartet hatte. Die kalte klare Winterluft hatte bereits
nach Schnee gerochen, so jedenfalls hatte er es immer empfunden. In
der Schule saß er dann ungeduldig in seiner Bank,
konzentrierte sich nicht auf den Unterricht und blickte
ununterbrochen aus dem Fenster, stets in der Hoffnung, dass der
Schnee nicht schmelzen möge, bevor er nach Hause gehen und
sich auf den Schlitten setzen konnte. Er war einst fast normal
gewesen.
    Kindheitserinnerungen,
die ihm in diesem Moment wie die Filmsequenz aus einem völlig
anderen Leben vorkamen. Er schüttelte ganz leicht den Kopf,
während er durch den Schnee stapfte und dem Knirschen unter
den groben Sohlen seiner Schuhe lauschte. Es war ein weiter
Fußweg zur Wohnung von Rebecca, doch er nahm ihn gern in
Kauf.
    Fast konnte er ihr
Blut schon riechen.

 
    32
    1.20
Uhr
    Sie hatte den Rest der
Sektflasche geleert. Roland war nicht heimgekommen. Wahrscheinlich
war er bei seinem Bruder, um dort die Nacht zu verbringen. Er
verstand sie einfach nicht, und Rebecca bezweifelte zum ersten Mal,
nach gerade einmal einem halben Jahr Ehe, ob er wirklich der Mann
war, mit dem sie alt werden wollte. Zwischen ihnen lagen
Welten.
    Sie gestand es sich
ein: Sie sehnte sich nach einem Mann wie Clay. Er fühlte wie
sie, zeigte Verständnis für sie.
    Rebecca
überlegte, ob sie sich noch eine Flasche Sekt öffnen
sollte. Morgen hatte sie Spätschicht im Drogeriemarkt, und
sicherlich würde sie die Situation, in der sie sich befand,
unter Alkoholeinfluss besser ertragen können. Ein wenig
schlaftrunken erhob sie sich vom Computer und durchstreifte die
dunkle Wohnung. Durch das Fenster in der Küche fiel der breite
Lichtstreifen der Straßenlaterne vor dem Haus in den Raum und
ermöglichte ihr auch ohne Licht, sich zu konzentrieren. Die
Wohnung fühlte sich leer und einsam an, und der Streit mit
Roland bohrte sich wieder in ihr Bewusstsein. Rebecca lehnte im
Türrahmen und blickte in die Leere des Raumes. An

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