Mein Ist Die Nacht
Raum. Während
sich der Rechner ins Internet einwählte, ging er in die
Küche und nahm sich eine Flasche trockenen Rotwein aus
Tarragona mit. Er griff mit der anderen, freien Hand, nach einem
Korkenzieher und einem Glas, dann kehrte er ins Wohnzimmer
zurück, entkorkte die Flasche, schenkte sich das Glas ein,
hielt es vor den Bildschirm und erfreute sich an der tiefroten
Farbe des Weines.
Rubinrot, dunkel und
geheimnisvoll, dachte er. Wie Blut…
Er schwenkte das Glas
und nippte von dem Wein, bevor er seine Lieblingsseite im Netz
aufsuchte. Mit wenigen Mausklicken arbeitete er sich zum Chatroom
vor. Als er gefunden hatte, wonach er gesucht hatte, grinste er
zufrieden. Der Spaß konnte beginnen.
30
23.50
Uhr
»Kommst du ins
Bett, Schatz?«
Rebecca fuhr
erschrocken herum. Die Flasche Sekt war fast leer, dafür war
der Aschenbecher neben der Computertastatur randvoll. Ihr Mann
stand lächelnd im Türrahmen. Gut sah er aus im
schummrigen Licht der kleinen Wohnzimmerlampe. Er war im Bad
gewesen; sie hatte das Rauschen der Dusche und seinen schlechten,
aber leidenschaftlichen Gesang gehört. Nun trat er, lediglich
mit einem Badetuch bekleidet, das er sich um die Hüften
geschlungen hatte, näher und hauchte ihr einen Kuss in den
Nacken. Sie bekam eine Gänsehaut. Er wusste ganz genau, wie
empfindlich sie am Hals war. Allzu gern nutzte er ihre
Schwäche. Sie legte den Kopf schräg und schloss die
Augen, genoss seine Liebkosungen. Er duftete gut.
Sie hatte den Abend
alleine vor dem Computer verbracht. Wie so oft hatte Roland
Spätschicht gehabt. Er arbeitete als Busfahrer und er mochte
seinen Beruf nur leidlich. Der Job war nicht besonders gut bezahlt,
aber wenigstens sicher, und so waren sie in der Lage, sich die
Dreizimmerwohnung am Rande des Wuppertaler Zooviertels zu leisten.
Seit einem halben Jahr waren sie jetzt verheiratet, und Rebecca
wünschte sich nichts so sehr wie ein Kind von ihm. Doch Roland
war skeptisch. Er hatte sie bekniet, noch zu warten, zumindest so
lange, bis sie
eine größere Wohnung hatten. Ihren Job als Kassiererin
im Drogeriemarkt würde sie im Mutterschaftsurlaub auch nicht
mehr ausüben können, und wenn ihr Gehalt ebenfalls
wegfiel, würde es finanziell eng werden. Zähneknirschend
hatte sie zugestimmt. Immerhin war sie erst achtundzwanzig. Und
solange sie vor ihrem dreißigsten Geburtstag Mutter wurde,
fühlte sie sich jung genug. Die Zeit, während der
er mit dem Bus
durch die Stadt fuhr, verbrachte Rebecca am Rechner und suchte
Kontakt zu gleichgesinnten Menschen in ihrer Nähe. Schon seit
ihrer Kindheit liebte sie die Nacht und die Dunkelheit. Vampire
faszinierten sie. Das Blut ihrer Mitmenschen zog sie in ihren
Bann.
Sie fühlte sich
manchmal… anders.
Ihr Mann kannte dieses
Selbstbild seiner Frau, nahm es aber nie ernst. Er kaufte ihr alle
paar Wochen neue Vampirromane, von denen es ja reichlich gab, und
damit hatte es sich. Er betrachtete diese Ansicht seiner Frau als
etwas verschroben, aber immerhin - er lebte mit ihrer Macke. Aber
er tat es nicht gern.
Seine Lippen
lösten sich von ihrer Haut. Er betrachtete ihre Gänsehaut
im diffusen Licht und knabberte sanft an ihrem Hals. Sie bebte,
griff nach hinten. Ihre Hände glitten unter das Handtuch, das
er sich nach dem Duschen um die Hüften geschlungen hatte. Sie
tastete über die muskulösen Oberschenkel ihres Mannes
immer höher. Das Handtuch fiel zu Boden, und sie drehte sich
auf dem Bürostuhl um. Seine Hände fuhren durch ihr Haar,
während sich sein Becken ihrem Mund entgegenstreckte. Seine
Leidenschaft erregte sie, und sie konnte es kaum erwarten, ihn ganz
zu spüren. Doch noch war es nicht so weit. Sie wollte ihn ein
bisschen quälen, wollte, dass er das Gehirn abschaltete und
nur ihr gehörte. Sie wollte sein Denken und Handeln
beherrschen, wollte Macht haben über
ihn.
Plötzlich schlug
er die Augen auf. Sein Blick ruhte auf dem Computerbildschirm.
Sanft, aber bestimmt löste er sich von ihr und drückte
sie fort. Eine steile Falte hatte sich auf seiner Nasenwurzel
gebildet. Die buschigen Augenbrauen schienen zu einem durchgehenden
Strich zusammenzuwachsen.
»Königin
der Nacht?« Er runzelte die Stirn.
»Das ist mein
Nickname.«
»Und der Name
ist Programm?« Roland schüttelte missbilligend den Kopf.
»Bist du wieder in einem deiner … Foren?«,
fragte er. Mit abwertender Miene betrachtete er den Monitor, den er
ihr letztes Jahr zu Weihnachten gekauft hatte. Sie liebte das
Internet, und
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