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Mein Ist Die Nacht

Mein Ist Die Nacht

Titel: Mein Ist Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schmidt
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der
Kühlschranktür hatte sie zahlreiche Postkarten befestigt,
die sie sich aus den verschiedensten Urlauben an die eigene Adresse
geschickt hatten. Ein wehmütiges Lächeln huschte um ihre
Mundwinkel, als sie an die zahlreichen schönen Stunden dachte,
die sie mit Roland verbracht hatte. Ein großer Urlaub war aus
finanziellen Gründen nie drin gewesen, aber immer wieder hatte
er sie mit einem verlängerten Wochenende überrascht,
hatte sie aus dem grauen und tristen Alltag entführt. Wie
lange hatte er das schon nicht mehr getan?
    Waren sie einander
gleichgültig geworden? Und wenn ja, wann war das eigentlich
passiert?      
    Ihre Sorgen waren ihm
egal, da war sie sicher, und wenn er müde von der Schicht
heimkam, war er schlecht gelaunt und oft wortkarg. Es lag am
mangelnden Fachverstand seiner Fahrdienstleiter, die unmöglich
einzuhaltende Fahrpläne erstellt hatten, es lag an schlecht
gelaunten Fahrgästen, die ihn wegen weniger Minuten
Verspätung zur Rechenschaft zogen und es lag an den Idioten
auf der Straße, die ihm mit seinem schweren Linienbus in den
oft engen und überfüllten Straßen der Stadt das
Leben schwer machen. Es lag immer an irgendwelchen
anderen.   
    »Das da
draußen ist ein Kampf, pflegte Roland in solchen Situationen
immer zu sagen, wenn ihm der Alltag besonders übel mitgespielt
hatte. Doch auch sie hatte Probleme und Sorgen. Privat und im Job.
Der Druck der Konzernleitung wurde fast täglich härter,
die Bezirksleiter der Drogeriemarkt-Kette schikanierten die
Filialleitungen und die wiederum gaben den Druck von oben an die
Verkäuferinnen weiter.
    Es war kein Wunder,
dass sich immer wieder Kunden über unfreundliche
Kassiererinnen und mangelnde Beratung beschwerten. Das führte
dann wieder zu Reklamationen, die dem Bezirksleiter zu Ohren kamen,
der sich dann die entsprechende Filialleitung zur Brust nahm und
sie ermahnte, ihre Mitarbeiterinnen besser zu
motivieren.
    Es war eine Farce, ein
Teufelskreis, und glücklich war Rebecca in dem Job schon lange
nicht mehr. Doch daran, zu kündigen, wagte sie nicht einmal zu
denken. In der Zeit, bis sie eine andere Stelle gefunden hatte,
würde ihr Gehalt fehlen und sie somit in eine kleine
persönliche Finanzkrise reißen. Roland hätte da
sicherlich nicht mitgespielt.
    Und so machte Rebecca
täglich eine Faust in der Kitteltasche, hörte sich
geduldig die oft ungerechtfertigten Maßregelungen der
Filialleitung und des Bezirksleiters an, ließ das
Nörgeln der Kunden über sich ergehen und schwor sich,
dass es sicherlich bald besser würde. Spätestens dann,
wenn sie einen anderen, einen besseren Job hätte.
    Aber wann, um Himmels
Willen, wäre das der Fall?
    Rebecca hatte die
kleine Küche durchschritten und stand nun am Kühlschrank.
Fast zärtlich strich sie über die bunten Postkarten, die
Roland und sie sich selber geschickt hatten. Dann öffnete sie
den Kühlschrank und nahm eine Flasche Rotwein heraus, die sie
eigentlich mit Roland hatte trinken wollen. An einem
gemütlichen und romantischen Abend.
    Doch Roland war nicht
da.
    Ihre Probleme hingegen
schienen allgegenwärtig zu sein. Rebecca nahm die Flasche
heraus und warf die Kühlschranktür zu. Blind fand sie den
Korkenzieher in der Besteckschublade, setzte ihn an den
Flaschenhals und betätigte den Hebel. Es dauerte nicht lange,
bis die Flasche entkorkt war.
    Just in dem Moment,
als der Flasche ein leises Plopp entwich, glaubte Rebecca ein
Geräusch hinter sich vernommen zu haben. Sie hielt inne und
lauschte in die Dunkelheit der Wohnung. War es Roland, der zu ihr
zurückgekommen war? Rebecca ging mit der entkorkten Flasche in
der rechten und dem Korkenzieher in der linken Hand hinaus in den
Flur, der ihr wie das Maul eines Ungetüms entgegen
gähnte. Nein, hier hatte sich nichts verändert, auch die
Wohnungstür öffnete sich nicht.
Enttäuscht wandte sie sich um und suchte in der Küche ein
Glas. Als sie kein Weinglas fand, zuckte sie gleichgültig die
Schultern und nahm eines der Saftgläser aus dem
Hängeschrank über der Spüle.
    Der Wein gluckerte in
das Glas, als sie zum zweiten Mal ein Geräusch hinter sich
vernahm.
    Rebecca erstarrte. Sie
setzte die Flasche ab und hielt den Atem an. Die Wohnung lag in
einem Altbau aus der Gründerzeit, der nach dem Krieg wieder
aufgebaut worden war. Der Dielenboden machte, besonders in den
ruhigeren Nachtstunden, immer wieder seltsame Geräusche, die
vermuten ließen, dass sich jemand in der Wohnung aufhielt.
Oft schon hatte Rebecca

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