Mein Ist Die Nacht
einen Geist vermutet, der in den vier
Wänden des jungen Paares sein Unwesen trieb. Sie war dem
Okkulten sehr zugetan und glaubte auch an übernatürliche
Phänomene. Roland hingegen lachte sie sofort aus, wenn sie von
ruhelosen Seelen berichtete, denen es aus einem bestimmten Grund
verwehrt war, ins Jenseits einzutreten.
»Holz arbeitet
halt«, sagte er immer wieder, um sie zu beruhigen,
»Dann macht es Geräusche - aber das ist kein Grund, an
einen Spuk in unserer Wohnung zu denken.«
Er war ein durch und
durch rationell denkender Mensch und hatte ' nichts für diesen
Hexenkram, wie er es gern spöttisch nannte,
übrig.
Rebecca lauschte in
die Finsternis und hörte nichts mehr. Sie nahm das Saftglas
und trank einen Schluck Wein. Der Rotwein schmeckte wie Samt in
ihrer Kehle und mundete herrlich. Sie schloss genießerisch
die Augen, als sie wieder ein Geräusch vernahm, das eindeutig
nicht von den knarrenden Dielen stammte. Sie bekam Angst. Ihr Herz
schlug bis zur Kehle. Sie sehnte sich nach Roland.
Als sie ein wildes
Flügelschlagen hinter sich vernahm, wirbelte sie herum und
verschüttete dabei einen Schluck Wein, der einen
unansehnlichen Kranz auf dem Fußboden bildete. Fast wie Blut,
dachte sie, als sie zum Küchenfenster blickte, wo sie einen
schwarzen, huschenden Schatten am Glas gesehen hatte. Glühende
Augen blickten ihr entgegen, und deutlich erkannte sie die winzigen
spitzen Zähne.
Sie schrie auf, und um
ein Haar hätte sie das Glas fallen lassen.
Rebecca glaubte zu
träumen. Dann drehte die Fledermaus, die sich offenbar verirrt
hatte und immer wieder gegen das Glas des Küchenfensters
geflogen war, ab und verschwand in der Nacht. Rebecca blickte ihr
nach und sah die ruckartigen Flugbewegungen.
Als sie an das Fenster
trat und auf die Straße herabblickte, sah sie eine
hochgewachsene Gestalt, die sich in den Schatten eines
Hauseinganges duckte. Sie war groß und schlank, was durch den
langen schwarzen Mantel mit den breiten Schultern noch
mächtiger wirkte. Vom Gesicht der Gestalt konnte sie nichts
erkennen, da es im Schatten einer breiten Hutkrempe lag. Starr vor
Schreck wandte sich Rebecca vom Fenster ab. Als sie sich ein wenig
beruhigt hatte und wieder hinab blickte, war die hoch gewachsene
Gestalt in Schwarz wie vom Erdboden verschwunden.
Sie hatte sich in
Nichts aufgelöst.
33
8.30
Uhr
In der Nacht war die
Temperatur abgefallen, und es hatte erneut geschneit. Diesmal war
der Winterdienst auf Zack gewesen und war mit allen Streufahrzeugen
so zeitig ausgerückt, dass es nicht zu einem morgendlichen
Chaos im Berufsverkehr gekommen war. Am frühen Morgen hatte
ein frischer Ostwind die grauen Wolken, die über der Stadt
gelegen hatten, vertrieben. Als Franka das Präsidium betrat,
fühlte sie sich immer noch wie gerädert. Die Nacht war
viel zu kurz gewesen, sie hatte zu viel getrunken und schleppte
eine Erkältung mit sich herum.
Im Büro hing eine
schwere Qualmwolke. Franka hüstelte und wedelte sich
bezeichnend mit der Hand vor dem Gesicht herum.
»Die Raucher
sind auch schon anwesend«, bemerkte sie gereizt, als sie
Micha mit einer Zigarette im Mund an seinem Arbeitsplatz
antraf.
Sofort drückte er
die Kippe im Aschenbecher aus, sprang auf und riss die Fenster auf,
um zu lüften.
»So empfindlich
am frühen Morgen, Frau Kollegin?«, fragte er mit
schlechtem Gewissen. Er setzte sich wieder, brummte ein kleinlautes
»Tach erstmal« und schlürfte lautstark von seinem
Kaffee.
Als Franka den
schweren Aktenordner auf den Tisch warf und sich an ihren
Schreibtisch setzte, betrachtete sie ihren Kollegen. Es war ihr
jetzt unangenehm, ihn angemeckert zu haben.
Micha schien auch eine
kurze Nacht hinter sich zu haben. Der Dienst schlauchte ihn
zusehends. Er war gestern kurz vor ihr aus dem Präsidium
verschwunden und hatte wohl ein paar Stunden Schlaf nachholen
wollen. Vergeblich, wovon die dunklen Ringe unter seinen Augen nun
kündeten. Auch für eine Rasur hatte es nicht mehr
gereicht. Aber immerhin trug er eine neue Jeans und ein frisches
Baumwollhemd.
»Guten
Morgen«, erwiderte Franka in versöhnlichem Tonfall. Die
Sonne meinte es gut an diesem Morgen. Staubpartikel tanzten in den
Strahlen, die ins Büro fielen. Franka musste niesen, zog ein
Taschentuch hervor und putzte sich die Nase. Nachdenklich
betrachtete sie ihren verschlafen wirkenden Kollegen. »Also,
den Feierabend hast du aber auch nicht sonderlich genossen, wie es
scheint.«
»Kann mal wohl
sagen«, brummte Micha. Er gähnte
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