Mein ist die Stunde der Nacht
völlig ahnungslos. Dann hatte sie ihm die kleine Eule aus Metall gezeigt, die noch in Plastik verschweißt war. »Die hab ich zufällig in einem Laden im Einkaufszentrum entdeckt, wo sie solches Zeug verkaufen«, hatte sie erklärt, »und als du angerufen hast, um mir zu sagen, dass du gerade in der Stadt bist, bin ich hingegangen und hab eine gekauft. Ich hab mir gedacht, dann können wir gemeinsam darüber lachen.«
Er hatte viele Gründe, Gloria dankbar zu sein. Nach ihrem Tod hatte er Dutzende von diesen kleinen Eulen aus Metall zu fünf Dollar das Stück gekauft. Jetzt waren noch drei übrig. Natürlich konnte er noch welche nachkaufen, aber vielleicht
hatte er keinen Bedarf mehr, wenn diese drei erst an ihrem Bestimmungsort lagen. Laura, Jean, Meredith. Eine Eule für jede.
Die Eule stellte den Wecker auf fünf Uhr morgens und ging schlafen.
77
SCHLAFEN! VIELLEICHT AUCH TRÄUMEN …, dachte Jean, während sie sich rastlos bald auf eine Seite, bald auf den Rücken drehte. Schließlich machte sie Licht und stieg aus dem Bett. Es war zu warm im Zimmer. Sie ging zum Fenster und öffnete es etwas weiter. Vielleicht kann ich jetzt schlafen, dachte sie.
Das Foto von Lily als Säugling lag auf dem Nachttisch. Sie setzte sich auf die Bettkante und nahm es in die Hand. Wie konnte ich sie nur aufgeben? Warum habe ich sie weggegeben? Sie fühlte sich wie in einer emotionalen Achterbahn. Heute Abend werde ich die Frau und den Mann kennen lernen, denen Lily gleich nach der Geburt anvertraut wurde, dachte Jean. Was soll ich ihnen sagen? Dass ich ihnen dankbar bin? Das bin ich zwar, aber gleichzeitig schäme ich mich, weil ich zugeben muss, dass ich eifersüchtig auf sie bin. Ich hätte gerne alles das erlebt, was sie mit ihr erlebt haben. Und wenn sie sich eines anderen besinnen und beschließen, dass ich Lily jetzt doch noch nicht sehen darf?
Ich möchte sie unbedingt sehen, und danach möchte ich nur noch nach Hause. Ich will endlich weg von all den Stonecroft-Leuten. Die Stimmung gestern Abend auf der Cocktailparty bei Direktor Downes war furchtbar, dachte sie, als sie das Licht ausknipste und sich wieder hinlegte. Alle schienen angespannt zu sein, aber alle auf eine andere Weise.
Mark – was geht in ihm vor?, fragte sie sich. Er war so still und hat alles getan, um mir aus dem Weg zu gehen. Carter Stewart war schlechter Laune und knurrte, dass er einen gesamten Arbeitstag damit vergeudet habe, sich um Robbys Drehbücher zu kümmern. Jack Emerson zankte sich ständig mit ihm und trank einen Scotch nach dem andern. Gordon schien in Ordnung zu sein, bis Direktor Downes immer wieder versuchte, ihm Pläne für das geplante neue Gebäude zu zeigen. Daraufhin ist er praktisch explodiert. Er wies darauf hin, dass er beim Dinner einen Scheck über hunderttausend Dollar für den Gebäudefonds überreicht habe. Es war unfassbar, wie er seine Stimme erhob und in die Runde fragte, ob es den andern auch schon aufgefallen sei: Je mehr man den Leuten gebe, desto mehr versuchten sie, aus einem herauszupressen.
Carter war genauso unhöflich. Er sagte, da er niemals spende, hätte er dieses Problem nicht. Jack Emerson hielt sich auch nicht zurück und prahlte, dass er Stonecroft für das neue Kommunikationszentrum eine halbe Million Dollar spenden werde.
Nur Mark und ich haben nichts gesagt, dachte Jean. Ich werde auch etwas spenden, aber für Stipendien, nicht für Gebäude.
Sie wollte nicht mehr an Mark denken.
Sie schaute auf die Uhr. Es war Viertel vor fünf. Was soll ich heute Abend anziehen? Allzu viele Sachen habe ich nicht mitgenommen. Ich weiß nicht, was für Menschen Lilys Adoptiveltern sind. Ziehen sie sich eher zwanglos an, oder legen sie mehr Wert auf Korrektheit? Vielleicht ist die braune Tweedjacke mit der Hose, die ich auf der Fahrt anhatte, die beste Wahl. Es ist so eine Art mittlere Lösung.
Ganz bestimmt werden die Fotos grauenvoll werden, die der Fotograf im Haus von Direktor Downes aufgenommen hat. Ich glaube nicht, dass einer der Männer auch nur den Versuch gemacht hat, zu lächeln, und ich hatte das Gefühl,
nur ein verzerrtes Grinsen zustande zu bringen. Und als dann noch dieser unverfrorene Jake Perkins auftauchte und bat, ein Foto von uns allen für die Gazette machen zu dürfen, habe ich fast gedacht, Downes würde einen Herzanfall bekommen. Trotzdem habe ich Mitleid mit dem armen Kerl gehabt, als Downes ihn praktisch vor die Tür gesetzt hat.
Ich kann nur hoffen, dass Jake sich nicht für
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