Mein Jahr als Mörder
den berühmten Film. Drei Witwen schwärmen von Humphrey Bogart, von seinen Augen, seinem lässigen Gang, seiner Ironie, seinen Hüten. Einträchtig bewundern sie den Mann, wie sie als Backfische vielleicht Willy Fritsch bewundert haben. Alle drei Frauen gebeutelt von den deutschen Dramen, jede hätte in Hollywood ihren eigenen Film anbieten können. Wie viel hätte Kläre Bloch zu erzählen gehabt, den Krimi mit dem erst fremden, dann geliebten Mann in der Einzimmerwohnung und mit den Listen und Lügen gegen den Blockwart, gewiss wartet sie auf neugierige junge Leute, die nach ihrer Story fragen. Wie viel die Anwältin, hungrig auf Anerkennung ihrer unterbezahlten Geduld beim Ausbalancieren der Formulierungen gegen das kalte Kriegsdeutsch der Justiz. Doch am Kaffeetisch an diesem Sommersonntag scheint alles, was mit Nazis oder mit Gerichten zu tun hat, wie tabu, wie weggesperrt, als hätten die Freundinnen vereinbart: sonntags nie. An diesem Nachmittag wage ich nichts zu fragen, nichts zu erbitten, nur ein drittes Stück Kirschkuchen.
Den Kalten Krieg beenden
Was ich nicht wusste: Genau in den Monaten, als ich den Groscurth-Geschichten nachspürte, ließ Anneliese einen letzten Versuch wagen, ihre eigene und die Würde ihres Mannes wiederherzustellen und ihre Rente und die Entschädigung zu erstreiten. Seit 1960, seit dem Urteil des Kammergerichts, waren neun Jahre vergangen, in denen die Gesellschaft kritischer mit den Nazis geworden war, den Widerstand zu respektieren begann und abweichende Meinungen leichter ertrug.
Der Anwalt Kaul hatte ihr geraten, von einem Anwaltsbüro in Essen ein Gutachten über das Kammergerichtsurteil und die Justizskandale der fünfziger Jahre fertigen zu lassen. Warum in Essen? Nein, nicht weil sie dort geboren wurde. In Essen, war die Überlegung, gab es eine Sozietät, in der Gustav Heinemann gearbeitet hatte, seit 1966 Bundesjustizminister. Die Rechtsmittel waren erschöpft, eine Klage konnte nicht mehr eingereicht werden. Aber das Gutachten aus Essen begleitete eine Eingabe an das Entschädigungsamt in Berlin und das Sozialministerium in Bonn. Die Eingabe wurde, auch eine taktische Überlegung, von einem bekannten Berliner Anwalt verfasst.
Das geschah in der Zeit, als ich mit Frau Groscurth sprach und ihre Akten studieren durfte. Sie hat mir kein Wort von dem neuen Vorstoß gesagt, warum sollte sie auch? Vielleicht wollte sie, von der Kette der Enttäuschungen gebeutelt, weder bei sich noch ändern die geringsten Hoffnungen wecken. Im März 1969, erinnere ich, war sie überrascht (Freude wäre zu viel, die war ihr bei allen politischen Fragen vergangen), als Heinemann, auf dessen Haltung gegen die Wiederbewaffnung sie sich oft berufen hatte, zum Bundespräsidenten gewählt wurde: der erste anständige Mann in diesem Amt.
Anneliese wird das Gutachten an jenem Julisonntag gekannt haben. Sie wird sich verstanden, ja geehrt gefühlt haben von solchen Argumenten: Nie hätten ihre Handlungen und Äußerungen eine parteipolitische Gebundenheit ausgedrückt, nie seien sie gegen die Berliner Verfassung gerichtet gewesen. Ihre Stellungnahme gegen die Wiederbewaffnung sei emotional und spontan gewesen, aus Abscheu gegen Krieg und Gewalt-nicht mit dem Ziel, Politik zu machen. Wer sich für ein Ziel einsetze, das auch die SED vertritt, bekämpfe damit nicht automatisch die freiheitliche Grundordnung, das sei der größte Irrtum des Kammergerichts. Presse und Behörden im Westen hätten jahrelang die Absicht gehabt und nahezu erreicht, die wirtschaftliche Existenz der Ärztin durch Rufmord zu zerstören, so hatte sie keine andere Wahl, als im Groscurth-Ausschuss eine Art Halt zu suchen.
Dies wurde, neben den weiteren Befunden aus früheren Schriftsätzen, in moderatem Ton, doch entschieden liberal vorgetragen. Wie tröstlich muss ihr der scheußliche Bandwurmsatz vorgekommen sein, in dem die Eingabe gipfelte:
Alle diese Ziele zu vertreten, gilt heute als durchaus ehrenwert. Ich bitte daher, da aus heutiger Sicht ein Aufrechterhalten des Vorwurfs, gegen die FDGO verstoßen zu haben, nicht mehr aufrecht zu erhalten ist, und da Frau Groscurth vielmehr konsequent als mündige Bürgerin im Sinne der Demokratie gehandelt und dabei politische Ansichten vertreten hat, wie sie vereinzelt bereits damals (etwa im Falle der Wiederbewaffnung vom amtierenden Bundespräsidenten Heinemann), erst recht aber heute von vielen Bürgern und Politikern vertreten werden, ihrem Antrag auf Wiedergutmachung nach dem
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