Mein Jahr als Mörder
endlich heiratet, und dann eine höhere Tochter, eine so herzliche.
- Ein weites Herz, verstanden.
- Beste Aussichten, zwei Karrieren, eine erfolgreiche Arztfamilie, aber wie wehrt man sich gegen den Terror der Gegenwart? Georg nimmt die Verlobte mit in seinen Salon, Kunzes Kaffeesalon, KKS, ein konspirativer Treffpunkt in der Inneren Abteilung des Krankenhauses, benannt nach der MTA Ilse Kunze, die den Kaffee organisiert. Wenn Groscurth und Havemann die Parole «Der Versuch läuft» ausgeben, kommen einige Ärzte, Schwestern und MT As, alles vertrauenswürdige Nazigegner, ins hämatologische Labor. Kaffee, politische Lage, neue Witze, medizinische Fragen, Tratsch über Nazi-Ober-schwestern und SS-Ärzte, Schallplatten der Dreigroschenoper, abends manchmal Feste. Die Pflicht zum Anhören der Führerreden, die Agitation der medizinischen Sturmbannführer und deren Unfähigkeit, das alles ist schwer zu ertragen. Da muss die kleine Minderheit, wenigstens eine halbe Stunde am Tag, sich Luft machen, offen reden, lachen.
Anneliese weist in ihrer Dissertation nach, dass Chinin und Aspirin keinen Einfluss auf den Verlauf der Grippe haben. Sie heiraten in Hannover, Januar 39, und ziehen in ein Haus in der Ahornallee in Charlottenburg, Georg bekommt ein Auto geschenkt. Aber er will, nach außen angepasst, tüchtig, von der Nazi-Elite geschätzt, mehr tun als Witze hören: Du musst nicht alles wissen, Anneliese. Wenn wir verhört werden, ist es besser, du kannst mit gutem Gewissen sagen, dass du nichts weißt. Bitte, komm auch nicht mehr zum KKS.
- Umsichtig, der Widerstandskämpfer.
- Das Wort mag sie nicht, das ist ihr zu groß für die kleinen Taten, die Hilfe, das Selbstverständliche.
- Aber wie hält das weite Herz die Spannung aus zwischen Wehrwirtschaftsführer und Widerstandskämpfer?
- Die Männer verstehen sich gut, Georg gibt weiter, was er Heß entlockt hat, und überzeugt allmählich den Schwiegervater, dass die Nazis nichts als Verbrecher in Uniform sind. Nach einem Schwächeanfall 1941 muss Plumpe den Posten bei Hanomag aufgeben, zieht nach Berlin-Westend in die Nähe der Groscurths, wird ein stiller Nicht-Nazi, arbeitet für Speer, gibt viel Geld, er fragt nicht, wofür, er ahnt nur: für verstek-kte Juden. Frau Plumpe will nicht nach Berlin, sie zieht, der Bomben wegen, das Dorf vor und mietet im Pfarrhaus von Wehrda, Kreis Hünfeld, drei Zimmer.
- Musst du immer wieder auf Wehrda kommen?
- Der Nabel der Welt, zumindest dieser Geschichte.
- Wie hält sie das aus, die Eltern getrennt?
- Es ist praktisch. Das Pfarrhaus steht neben dem Bauernhaus von Georgs liebster Schwester Luise Döring. Hier bringt sie Rolf und Axel unter, hier sind sie in den Tagen vor der Verhaftung im Herbst 43, hier findet sie Zuflucht nach der Hinrichtung, hier erlebt sie die Befreiung.
- Das weite Herz, wird es jetzt eng?
- Im Gegenteil. Obwohl sie auch noch den Vater verliert, der sich im Frühjahr 1945, in Sachsen, angesichts der endlosen Flüchtlingsströme aus Schlesien, erschießt aus Gram, nichts gegen die Nazis getan zu haben. An ihrer Kriegsbilanz ist nichts zu beschönigen: Der Mann wird umgebracht, weil er aktiv gegen die Nazis war, der Vater bringt sich um, weil er nicht aktiv war. Mutter verbittert. Kinder zwei und vier Jahre. Tränen und Mitleid der Verwandten im Überfluss.
- Wie findet sie ihre Balance?
- Drei Versprechen geben ihr Halt: Sie hat ihrem Mann die Treue gelobt. Er hat ihr das Vermächtnis hinterlassen: gegen Nazis und gegen Krieg. Sie hat den Eid des Hippokrates abgelegt. Das ergibt ein schlüssiges Konzept für ein weites Herz. Sie hätte, mit 35, Landärztin werden können oder Kurärztin in Bad Hersfeld. Aber sie kehrt, gepeinigt und tatkräftig, aus dem geschützten amerikanischen Wehrda im Frühjahr 1946 in den Trümmerhaufen Berlin zurück, britischer Sektor. Anerkannt als « Opfer des Faschismus», arbeitet sie als leitende Amtsärztin im Gesundheitsamt Charlottenburg, eröffnet eine Kassenpraxis in der Wohnung und holt ein Jahr später die Kinder nach. Unter vielen selbstlosen Menschen von heiterer Tatkraft sticht sie hervor, ihre Unermüdlichkeit, ihre Güte werden legendär, sie hilft, wo sie kann. Frauen wie sie wurden später mit dem Bundesverdienstkreuz bedacht. Sie aber, weil ihr Herz zu weit war, mit dem Brandmal einer Hexe.
- Na los, weiter!, hätte Catherine gesagt.
Besuch beim Staatsfeind
Niemand sieht es mir an, da war ich sicher, auch nicht die unerbittlichsten
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