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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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von den Kacheln, der Tünche, dem Warteschweiß, den militärischen Stimmen ausging. Nur Anfänger, die sich zum ersten Mal den langwierigen Kontrollritualen unterzogen, zeigten die Angst offen, staunend, fragend, mit zitternden Blicken. Routiniers, zu denen ich mich zählte, waren leicht an dem Lächeln über die Anfänger zu erkennen und an der gespielten Lässigkeit beim Hinundherschlendern zwischen den Wartenden, mit der sie ihren Groll gegen die überlange Musterung kaschierten. Neben mir stand ein jüngerer Mann, Boxer gesicht, verschlossen, ruhig, ich dachte, der zeigt nichts, der hat was zu verbergen, der könnte ein Fluchthelfer sein. Dahinter ein gut gekleidetes Paar, diskret die Nase rümpfend über die Niederungen, die zu durchschreiten waren. Die vornehmen Leute versuchten ihren Abscheu zu überspielen, als wollten sie sich die Vorfreude auf das Pergamon-Museum und das Theater nicht nehmen lassen, nicht auf die Schallplatten und das Abendessen im Ganymed. Am natürlichsten trat die Kriegsgeneration auf, ältere Frauen und Männer, die, als gäbe es hier Diebe, ihre Taschen und Plastiktüten streng bewachten und trotzige Blicke gegen die Front der Uniformen richteten.
    So verschieden die Nuancen schweigender Mienen und verkrampfter Körperhaltungen waren, alle duckten sich vor der fremden Macht wie Untertanen. Auch ich, der doch antiautoritär sein wollte. Hier kuschten wir gemeinsam, die Alten, die Jungen, Frauen, Männer, Rechte, Linke, Schlauköpfe, Dummköpfe, Freunde oder Feinde des ersten, wie die Parolen prahlten, sozialistischen Staates auf deutschem Boden. Für den Mut zu meiner Tat musste ich viel Feigheit aufbieten.
    Dann der Test: Als ich endlich dran war, versuchte ich, nicht mehr unterwürfig, sondern selbstbewusst dreinzuschauen, den Mordplan hinter der Stirn. Der Grenzer prüfte meine Ohrform und die Augenfarbe - und ich stellte mir vor, wie ich schieße. Alles ging gut, ich bekam den Stempel. Wenn die Grenzer, denen alles verdächtig ist, mir den Mörder nicht ansehen, den künftigen, dann wird mir im Westen erst recht niemand den Mörder ansehen, Polizisten nicht, Juristen nicht, die Freunde nicht. Ich galt sowieso als der Bravste, der Stillste von allen. Einer, der nichts sagte und der, wenn er was sagte, meistens zu stottern anfing. Der sich nicht dahin drängte, wo geprügelt, gestritten, gejohlt, geschrien wurde. Die besten Voraussetzungen für eine gelungene Überraschung.
    Als endlich alle Kontrollen überstanden waren, diesmal ohne Leibesvisitation, ohne Befragung, ging ich in der Dämmerung des Nachmittags mit unentschlossenen Schritten die Friedrichstraße hinauf, fünf Minuten zur Ecke Chausseestraße. Bis jetzt war alles Spiel gewesen, nun konnte es gefährlich werden. Wegen seiner Gedichte und Lieder galt Biermann als Staatsfeind, wurde mit Bann belegt, observiert und schikaniert, und wer zu ihm kam, machte sich verdächtig. Ich kannte die Regeln, hatte ihm öfter geholfen, die Verbote zu unterlaufen. Hin und wieder blieb ich vor Schaufenstern stehen, um unauffällig zu prüfen, ob jemand folgte, es sah nicht danach aus. Ich hatte keine Angst, aber da ich nie ausschließen konnte, beschattet zu werden, blieb ich vorsichtig.
    Der Eingang vor Biermanns Haus in der Chausseestraße wurde unauffällig überwacht, das war sicher, ich strengte mich an, eine möglichst harmlose Miene aufzusetzen, stieg in den zweiten Stock hinauf und klingelte. Nichts rührte sich hinter der Tür. Ich wartete, und nach einer Pause drückte ich wieder auf den Klingelknopf. Ich war nicht angemeldet, hier konnte man nur auf gut Glück kommen. Für Leute, die der umlagerte Sänger zu sehen wünschte, galt das Zeichen: beim dritten Mal dreimal kurz. Ich hatte Pech, alles umsonst.
    Eine Notiz in den Briefkasten zu werfen empfahl sich nicht, denn die Stasi-Leute wären keine Stasi-Leute gewesen, wenn sie dafür keinen Schlüssel gehabt hätten. Ein Anruf wäre töricht gewesen, es wurde alles abgehört. Briefe gingen durch die Zensur. Bei seiner Freundin klingeln, eine Straße weiter, das war nur im Notfall erlaubt. Es blieb die Möglichkeit, irgendwann, auf gut Glück, wiederzukommen, vorgelassen, auf das Sofa plaziert zu werden und, nach Komplimenten und dem Anhören der neusten Lieder, des Sängers Redefluss zu unterbrechen und ihn zu bitten, bei lauter Radiomusik gegen die Abhörgeräte, seinen Freund Havemann zu bitten, trotz aller Schikanen hier aufzutauchen, damit ich mit ihm über seinen Freund

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