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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Groscurth reden könne.
    Heute klingt der Plan ziemlich dreist - aber im Dezember 1968 waren die beiden Staatsfeinde noch nicht so unnahbar berühmt wie später. Ich hatte Biermann einige Gefallen getan, warum sollte er mir keinen Gefallen tun? Und ich war so naiv zu hoffen: Havemann spricht stets mit Respekt von seinem besten Freund Groscurth, warum soll er dann nicht, wenn sein heutiger bester Freund das vermittelt, zu einem Gespräch über seinen früheren besten Freund bereit sein?
    Die höhere Ironie dieses Versuchs der Annäherung war nicht zu übersehen: Um meine Pläne voranzubringen, die gegen das nazinahe Establishment im Westen gerichtet waren, musste ich die beiden Männer sprechen, die vom Establishment der DDR als Staatsfeinde Nr. 1 und Nr. 2 verteufelt und im Westen gefeiert wurden. Die Bonzen der DDR, Anti-Nazis, brauchten Nazis wie R. als Argument gegen den Westen. Am meisten fürchteten sie jedoch den Mann, der vom Nazi R. zum Tod verurteilt worden war, ihren Staatsfeind Nr. 1, und würden alles tun, um zu verhindern, dass ich mit dem sprach. Ich aber brauchte, um Mord und Buch im Westen solide zu begründen, den Staatsfeind Nr. 1 der DDR, der nur über den Staatsfeind Nr. 2 zu erreichen war. Doch der war nicht zu Hause.
    Kein Grund zu verzweifeln, auch im Märchen geschieht das Wunder erst beim dritten Versuch. Also lief ich zurück, die Friedrichstraße hatte in diesem Abschnitt außer einer kleinen Buchhandlung wenig zu bieten, ich ging hinein, stöberte herum und stieß auf ein Buch, von dem ich oft gehört hatte, Braunbuch, Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik. Ein Nachschlagewerk mit Tausenden von Namen und Verbrechen auf 400 Seiten, mit Dokumenten, Urteilen, Bildern, alles für 4 Mark 80 vom umgetauschten Blechgeld, da gab es kein Zögern, trotz der hässlichen Brauntöne auf dem Pappumschlag.
    Der Rest von 20 Pfennigen reichte für die S-Bahn zum nächsten Besuch. Wenn ich zu Biermann fuhr, das war die Regel, hatte ich mich immer auch bei einem anderen, weniger verdächtigen Menschen in Ostberlin verabredet, um ein Alibi zu haben bei möglichen Befragungen. Diesmal war ich bei einem Dichter in den südöstlichen Bezirken angemeldet, wo ich zwei heitere Stunden verbrachte. Auf der Rückfahrt blätterte ich im Braunbuch, im Register, ließ den Finger bei R herunterfahren und fand ihn nicht. Ich suchte meinen R., suchte zwischen Rauch, Rausch, Rebmann, Reckmann, Redecker, Refeldt, Regis, Rehbock, Reichelt, Reichert, Reidel. Er fehlte. Du hast dir zu viel polnischen Wodka einschenken lassen, dachte ich und stieg gegen neun wieder an der Endstation Friedrichstraße aus.
    Noch einmal lief ich bis zur Ecke Chausseestraße, aber in der Wohnung des Staatsfeindes war kein Licht, also zurück zum Bahnhof, zu den Grenzbaracken, der Tränenpalast stand noch nicht. Nach dem Ritual der so genannten Ausreise war ich begierig darauf, in der Bahn nach Westen wieder das braune Buch aufzuschlagen. Da waren sie in alphabetischer Ordnung angetreten, die Staatsfreunde, die hohen Hakenkreuzmänner mit Ämtern und Würden vor 1945 und den Karrieren nach dem Krieg. Reibungslose Lebensläufe der Mörder, Schreibtischmörder, Kriegsmeister: die Hälfte der Botschafter, die Generäle der Bundeswehr, die meisten der höchsten Beamten, Wissenschaftler und führenden Unternehmer. Die Heerscharen von Richtern und Staatsanwälten hielten den Rekord mit achthundert Namen - alles nichts Neues. Schockierend waren die Zahlen, die Zitate, die Verbrechen, mit denen vor allem die Juristen belastet waren.
    Gewiss, ein Propagandabuch der DDR, sagte ich mir. Zwischen den Dokumenten der geifernde Zeigefingerton, eine unerträgliche Sprache, mit der auf die Nazis im Westen gewiesen wurde. Trotzdem, was mich bewegte, war die bundesdeutsche Verdrängung dieser Fakten. Verlogen war man im Osten wie im Westen, wenn es um die braune Kacke ging, ich hasste sie, die großdeutsche, naziostwestdeutsche Braunbuch-Kacke.
    Etwas später klingelte ich bei Catherine. Ausgerechnet an diesem Abend überfiel sie mich mit dem Entschluss, den Fotoapparat an den Nagel zu hängen, wie sie sagte, und Soziologie zu studieren. Ich war zu müde, zu widersprechen, vom Wodka geschwächt, abgelenkt von meinen Plänen und der Verwirrung, den Hauptverbrecher R. in dem Ekelbuch nicht gefunden zu haben. Irgendwann begriff ich: Die Pensionäre hatten sie gar nicht mitgezählt.
Man schwadroniert so viel vom Widerstand
    Ich hab ja nichts gewusst, fast nichts,

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