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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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ändern vertraut, warum soll er sich hier nicht ein paar Minuten entlasten und das Parteikorsett ablegen?
    Der Stellvertreter des Führers hat, wie die Kollegen mit Neid sagen, einen Narren an Groscurth gefressen. Das Robert-Koch-Krankenhaus in Moabit verdankt seinen guten Ruf den jüdischen Ärzten, die 1933 verjagt und von SA- und SS-Leuten ersetzt wurden, miserable Mediziner, die lange zögerten, bis sie fähige Leute wie Groscurth zum Oberarzt befördern. Nun die scheelen Blicke: Warum kommt der Stellvertreter des Führers, der doch sein Krankenhaus in Dresden hat, nach Moabit, und warum nicht zu uns, warum ausgerechnet zu diesem eigensinnigen Groscurth, der nicht einmal in der Partei ist?
    - Nein, sagte Anneliese Groscurth, ich weiß kaum, was sie im Einzelnen gesprochen haben, über seine wirklichen oder eingebildeten Krankheiten weiß ich wenig, wollte ich gar nicht, Schweigepflicht. Georg hat mir nur berichtet, was er ihm, sehr behutsam, wie nebenbei, entlockt hat: die Vernichtung der Juden, Kriegspläne, die Lager. Und er hat sich revanchiert und Heß von Phanodorm und anderm schädlichem Zeug entwöhnt. Sicher ist jedenfalls, die beiden hatten einen guten persönlichen Kontakt mehrere Jahre. Georg kehrte vor solchen Leuten den Bauernsohn heraus, nicht den intellektuellen Arzt, das wirkte. Der Bauernstand, das gefiel den Bonzen. Und er spielte den leidenschaftlichen Parteigenossen, obwohl er nie in der Partei war. Heß gratulierte uns mit einem riesigen Blumenstrauß zur Hochzeit, das Billett hab ich noch. Er lud uns öfter zu Empfängen in sein Haus. Das war das Schlimmste.
    - Das Schlimmste?
    - Wir konnten ja nicht ablehnen, das hätte uns sofort verdächtig gemacht. Also mitspielen, wir mussten uns fein machen für das Nazipack, uns vor den verhassten Uniformen verbeugen, den Mördern die Hand geben, gute Miene zu ihren schlechten Scherzen machen, zu ihrem Geprahle schweigen, ständig in zwei Zungen reden, in zwei Welten leben, es war schrecklich. Einmal war ich sogar seine Tischdame, kurz nach der Hochzeit. Georg sagte später: Das ist fast wie in der Feudalzeit, heute beschränkt sich das Recht des Fürsten auf die erste Nacht zum Glück auf das Recht auf den ersten Walzer.
    - Du hast mit Rudolf Heß getanzt? Wie war das? Gibt es ein Foto?
    - Kein Grund zur Aufregung, mein Junge! Es gibt so viele Fotos, die es nicht gibt. Er tanzte nicht gut, aber schlecht auch nicht. Ich dachte: Wenn er ungeschickt führt, führ du ihn, er wird dir dankbar sein, wenn du auf dem Parkett nicht passiv bist wie ein vor Ehrfurcht steifes Nazimädel. Alles war taktisch. Georg organisierte falsche Papiere für Juden, die untertauchen wollten, morgens behandelte er Leute, die aus dem KZ kamen, unter falschem Namen, mit falschen Krankenscheinen, und wir tanzten abends im Dreivierteltakt mit dieser Bande. Wir hatten keine Wahl: Nur nicht auffallen war die Devise. Wir spielten mit, voll Verachtung für die!
    Wenn du einmal drin bist in diesen Kreisen, kommt ja keiner mehr auf die Idee, dass du nicht dazugehörst. Das war sehr einfach — und sehr gefährlich, ganz perfekt konntest du dich nicht tarnen. Heß hatte Georg bei der Untersuchung mal angesprochen, warum er sein Parteiabzeichen nicht trage. Auf die Frage war er vorbereitet: Er habe die Parteimitgliedschaft schon vor längerer Zeit beantragt, aber Parteibuch und Abzeichen seien immer noch nicht eingetroffen. Außerdem, hat er gesagt, ich würde mein Parteiabzeichen nie am Arztkittel tragen, das darf doch nicht mit Blut besudelt werden! Wir haben lange beraten, wie wir dieser Zwickmühle entkommen. Georg fiel eine List ein. Er besorgte sich ein Aufnahmeformular, füllte es aus, datierte es vor, schickte es aber nicht ab, sondern verbrannte es - und behielt den Durchschlag als Beweis. Und er drängte mich, zur Tarnung in den harmlosesten Frauenverband zu gehen, die NS-Frauenschaft.
    Trotzdem fielen wir auf, ich erinnere mich an einen Abend, als so ein junger höherer Nazibengel sich beim Essen über Georg mokierte, warum der hier beim Stellvertreter des Führers ohne Parteiabzeichen erschienen sei. Georg verteidigte sich damit, er habe noch bis in den Abend Visite gehabt, er sei so eilig gewesen, kaum Zeit zum Umziehen und daher das Abzeichen vergessen. Das war nicht sehr überzeugend, Heß fragte beim nächsten Mal nach, aber Georg blieb kühl: Ich konnte doch vor der hohen Gesellschaft unsere Partei nicht schlecht machen, dass sie manchmal mit dem Organisieren nicht

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