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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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sagte Anneliese Gros-curth.
    Sie sprach nur widerwillig über die alten Zeiten, als hätten ihr die Prozesse der fünfziger Jahre den Mund gelähmt, in denen sie für die guten Taten der vierziger büßen musste. Sie hat sich immer geweigert, mit diesen Taten zu prahlen, und schon das Reden darüber kam ihr wie eine Angeberei vor. Ich geh doch damit nicht hausieren!, sagte sie. Wahrscheinlich hatte ich es nur Axel zu verdanken, dass sie überhaupt mit mir sprach. Oder sie wurde, wenn sie mir begegnete, an mein stundenlanges Heulen bei Axels Weggang von Wehrda erinnert und meinte, mir außer der Tröstung mit Nils Holgersson noch einen Gefallen tun zu müssen - das wäre ihr zuzu trauen.
    In meinen Notaten ist zusammengefasst, was sie stockend erzählte:
    Georg hat mich so wenig wie möglich hineingezogen, sein Schweigen hat mir das Leben gerettet. Wer wenig weiß, kann wenig sagen. Immer mal wieder die kleinen Hilfen, für die versteckten Leute dem Vater Geld entlocken, bei Bekannten fragen, ob sie jemanden aufnehmen können, das hab ich gemacht, das war selbstverständlich, da hat man nicht viel nachgedacht. Oder die verfolgten Juden ins Krankenhaus begleiten, wo sie, unter Decknamen, versorgt wurden. Vor allem Essen organisieren, Lebensmittel aus Wehrda verteilen, ja, die Luise, Frau des NS-Ortsbauernführers, schickte Würste, Mehl, Erbsen, offiziell für uns, sie hat nur geahnt, an wen das ging. Essensmarken gab es schwarz in einer Kneipe am Wittenbergplatz, aber da wollte mich Georg nicht sehen, ich hab bei einem Geflügelhändler, auch ein Patient von ihm, Lebensmittel geholt, alles hintenrum. Es lief ja ganz viel über seine Patienten.
    1943, als alle so richtig aktiv waren, war ich schwanger, habe im Mai Axel geboren, hatte dann den Säugling und Rolf, der war erst zwei, deshalb kann ich wirklich nicht viel sagen. Wie Georg und seine Freunde für Juden und andere Verfolgte falsche Papiere besorgt haben, wie das ging, das hab ich auch erst später gehört. Georg hat in seiner Praxis einen Drucker kennen gelernt, der ihm angeboten hat, für 350 Mark gefälschte Ausweise des Oberkommandos der Wehrmacht herzustellen, natürlich hat er von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Damit konnten, ich weiß es nicht genau, vielleicht fünf Leute, vielleicht zehn, erst mal durchkommen. Nach dem Krieg hat mir Frau Rentsch erzählt, dass sie einen pensionierten Kriminalbeamten an der Hand hatten aus Bremen. Dort war das Einwohnermeldeamt durch Bomben zerstört worden, und der Mann hatte Kennkarten und Stempel des Amtes gehortet. Der konnte echte Ausweise ausstellen, die mussten nur eine zerbombte Straße als Wohnung eintragen, ein Passbild nehmen, der Fotograf Kind machte die Fotos, schon konntest du einen Juden in einen Bremer Bürger verwandeln, der Kriminalbeamte nahm nur ziemlich viel Geld für seine Hilfe.
    Oder der Eiertrick. Da hatten sie einen Grafiker, der nahm ein hart gekochtes Ei, pellte es und wälzte es vorsichtig über einen Stempel in einem Ausweis. Auf der feuchten Haut des Eis färbte sich der Stempel ab, und dann hat er das Ei über das Passbild in einem gefälschten Ausweis gerollt — und der Stempel sah aus wie echt. So haben sie etliche Urlaubsscheine für die Wehrmacht produziert, die du brauchtest, wenn du als Mann durch die Straßen gelaufen bist. Alle Männer zwischen 18 und 50 wurden ja ständig kontrolliert, wer keine «kriegswichtige» Arbeit hatte oder kein Soldat war, wurde sofort geschnappt.
    Im Sommer 43, wir wollten gerade die Kinder nach Wehrda in Sicherheit bringen, tauchte die Frau eines Freundes von Georg auf, eine Jüdin aus Frankfurt, dort fingen sie an, die in «Mischehen» lebenden Juden zu deportieren. Wir versteckten sie bei uns, später war sie auch bei ändern. Robert übrigens gefiel das nicht, er wollte am liebsten nur den politischen Kämpfern helfen, Georg möglichst allen, die zu ihm kamen — für einen Arzt gibt es keine politischen Kriterien. Über einen italienischen Patienten, der einen Schlafwagenschaffner kannte, versuchte er, sie nach Italien zu ihrer Schwester zu schleusen, das klappte nicht, er überredete den Kriminalisten, nochmal einen falschen Ausweis zu liefern, wir kratzten 1500 Mark zusammen. Sie war ein schwieriger Mensch, diese Frau, sie klagte dauernd, ohne die Gefahr zu sehen, die ihre Gastgeber auf sich nahmen. Dann wurde sie mit uns allen im Sep-tember verhaftet, in Rentschs Wochenendhaus, und nach Auschwitz deportiert. Sie hat überlebt, ich hab einen

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