Mein Jahr als Mörder
Brief von ihr aus New York, aber kein Wort des Dankes, kein Bedauern, dass ich meinen Mann verloren habe, auch wegen der Hilfe für sie, auch das gibt es, auch das musst du aushalten hinterher.
Man schwadroniert immer so viel vom Widerstand, aber es war doch viel weniger, es war alles nichts Großartiges, nichts Heroisches, man wollte, man musste sich doch einfach nur anständig verhalten und den Leuten helfen. Robert und Georg haben für die Unter getauchten hin und wieder ein kleines Fest organisiert in der Bismarckstraße unterm Dach, die durften sich nur untereinander nicht kennen, die waren von allem abgeschnitten, konnten sich nur nachts ein bisschen aus ihren Verstecken wagen. Es war gespenstisch, sie alle haben von dem Luxus, von der Freiheit geträumt, mal wieder ins Kino zu gehn, was ihnen seit Jahren verboten war, und da hat Robert seine Dias vorgeführt, was denkst du, was das für die Leute bedeutet hat, solche einfachen Sachen.
Oder, was Georg öfter gemacht hat, junge Männer bei der Musterung durchfallen lassen. Die Wehrmachtsärzte achteten im Krieg besonders streng auf die Simulanten, aber so schlau wie er waren sie nicht. Er hat ein Gebräu aus Rizinus und aufgekochtem Bier erfunden, in das über Nacht eine Zigarre gesteckt wurde, das musste der Junge trinken, dann eine Radfahrt bergauf. Am nächsten Morgen war der so fertig, dass auch die härtesten Kommissköppe feststellten: Der ist nicht kriegsverwendungsfähig. Das hat die Gestapo nie rausgekriegt, auch nicht den ändern Trick, bei dem eine Krankenschwester mitspielen musste. Da war eine auf seiner Station, deren Blut die Eigenschaft hatte, sofort zu gerinnen. Wenn die also etwas Blut spendete, gab Georg das den Wehrpflichtigen zu trinken. Am nächsten Morgen bei der Musterung fanden die Ärzte Blut im Urin, dann mussten sie die Männer vom Wehrdienst befreien. Blut trinken, das hört sich barbarisch an für einen wie dich, der kein Blut sehen kann, aber das hättest du auch gemacht, um nicht Hitlers Kanonenfutter zu werden.
(Damals hab ich nicht notiert: wie ich mich geschmeichelt fühlte.)
Auch von diesen Sachen wusste ich nichts, ich bekam nur mit, wie er die hohen Nazis aushorchte, Heß und seinen Bruder und den SS-Mann, den Staatssekretär im Außenministerium, unseren Nachbarn, ein Ekel, und diese Informationen wurden weitergegeben an die richtigen Leute. Georg hatte zum Beispiel einen Patienten, einen Sprachwissenschaftler aus Litauen, der hat einer Gruppe von Generälen der Wehrmacht Russischunterricht gegeben, weißt du, wann?, im Januar 1941. Der hat sofort gemerkt, warum die plötzlich Russisch pauken sollten, die planten den Angriff auf die Sowjetunion, der im Juni folgte. Dieser Mann vertraute Georg. Heß deutete das ja auch sehr deutlich an. Nach dem Krieg hat mir Havemann erzählt, dass sie diese Information auf Umwegen an die Sowjets weitergegeben haben - aber der Stalin hat solche Warnungen nicht geglaubt.
Heute hört sich alles so anekdotisch an, dabei hast du jeden Tag deinen Kopf riskiert. Das war dir nicht in jeder Sekunde klar, sonst wärst du ja aus dem Flattern nicht rausgekommen, du wusstest nur: Keine Angst zeigen vor den Gefahren, sonst bist du verloren. Du musstest deinem Instinkt folgen, da war Georg ein Meister. Aber er hat zu viel gemacht, die Gruppe hat sich zu viel auf einmal vorgenommen, dieser Unsinn mit den Flugblättern, die Verbindungen zu den ausländischen Arbeitern und zu ändern Gruppen, das lief alles hinter meinem Rücken, da musst du Robert fragen.
Eigentlich kann man darüber gar nicht reden. Wenn Robert über diese Zeit spricht, ist er irgendwie der Held. Wenn ich dir von Georg erzähle, klingt auch alles irgendwie heldenhaft, und wir reden schon gar nicht mehr über Herbert und Paul. Du musst unbedingt mit Grete Rentsch und Maria Richter sprechen, von mir aus auch mit den Frauen von Robert, es war eine Gruppe, vier Freunde, jetzt sind vier Witwen übrig, uns bleibt der Kaffeeklatsch. Und drüben wollen sie uns zu einem Anhängsel der kommunistischen Widerstandskämpfer stilisieren, was wird da schwadroniert vom Widerstand, und hier ... Schluss jetzt!
Ich will, dass ihr eins begreift: Es gab keine Helden, keine großen Einzelfiguren, keine Kämpfer des Widerstands, verstehst du? Es war eine Kette von anständigen Leuten, mit guten Nerven, Instinkt und mehr oder weniger Glück, ein Netz, nur so konntest du was ausrichten.
So ein Netz hat mir nach dem Krieg gefehlt. Da waren die Leute viel
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