Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
Fahnen, Mao, Wohngemeinschaften und Kommunen, die in der Provinz als Zentren für Orgien galten, konnte ich sie beruhigen, damit hatte ich nichts zu tun. Aber ich schaffte es nicht, den Gedanken an das Schlimmste zu verdrängen, das ihr bevorstand: der Sohn als Mörder. Sie merkte wohl, dass ich nicht die ganze Wahrheit sagte, und um keinen neuen Verdacht zu wecken und sie nicht mit dem Eindruck zu verlassen, ich müsse ein Lügner sein, gestand ich, als ich mit ihr die Meißner Kaffeetassen abwusch:
    - Ja, da ist noch etwas, ich hab einen Plan, eigentlich noch geheim. Ich will über Georg Groscurth schreiben.
    Für sie ein Schock, ein doppelter. Aller Eifer war auf das Studium zu richten, nicht auf irgendwelche Schreibfaxen. Dann der Name Groscurth, für sie ein Kommunist, was sie jedoch nicht auszusprechen wagte. Beim ersten Punkt wusste ich sie zu beschwichtigen, beim zweiten konnte ich ihr nicht helfen.
    So hatte ich ihren Sorgen einen konkreten Anlass gegeben, das schien mir besser für ihre ängstliche Natur als die vagen Zweifel um mein Seelenheil. Ich versuchte das Gespräch zu entspannen und fragte, welche Erinnerungen sie mit Anneliese Groscurth verbinde. Die beiden hatten als junge Frauen bei Kriegsende zwei, drei Jahre im Wehrdaer Pfarrhaus gelebt. Sie mochten sich nicht, so viel wusste ich. Auch an diesem Nachmittag in der Küche, wo wir lockerer als im Wohnzimmer waren, fand ich die Gründe nicht heraus. Meine Mutter hatte kein besonderes Erlebnis, keine Anekdote, nichts Erhellendes zu berichten. Vorurteile rumorten in ihr. Sie sprach nur von Frau Plumpe, der herrischen und schwierigen Mutter der Anneliese Groscurth, die auch im Sommer 1945, als die Familie meiner Mutter aus Mecklenburg geflüchtet kam und alle sich auf engstem Raum zusammendrängen mussten, kein Zimmer abgegeben habe. Ihr Dienstmädchen habe mehr Platz gehabt als ... und so weiter. Der zweite Vorwurf saß tiefer: Die Groscurths waren keine christlichen Leute.
    Ob sie gewusst habe, dass Dr. Groscurth, der Vater von Axel und Rolf, von den Nazis hingerichtet wurde?
    - Ja, sagte sie, das haben wir alle bedauert. Aber es gab sehr viele Familien, denen der Vater entrissen wurde.
    Ob das nicht ein Unterschied sei, wenn einer im Krieg für Hitler gefallen sei oder im Kampf gegen Hitler ermordet wurde?
    - Ja, aber für die Familien, für die Hinterbliebenen nicht. Außerdem haben die Soldaten, hat auch dein Vater nicht für Hitler gekämpft, sondern für Deutschland.
    Ob es das Gleiche sei, wenn einer sich füge und einer Widerstand leiste?
    - Ja, das ist natürlich ein Unterschied.
    Ob sie wisse, dass auch Frau Groscurth Juden versteckt und vielen Menschen, die gegen Hitler waren, geholfen habe?
    - Nein.
    Ob sie wisse, dass Georg Groscurth nicht weniger bedeutend sei als Stauffenberg und die Männer des 20. Juli?
    - Nein.
    Ob sie gehört habe, dass der Richter R., der Groscurth und mindestens zweihundertdreißig andere zum Tode verurteilt habe, neulich freigesprochen worden sei?
    - Ja, hab ich gehört, das ist natürlich nicht richtig.
    - Siehst du, sagte ich, und aus all diesen Gründen muss ich über Groscurth schreiben.
    Ein gemeines Verhör, meine Art Brutalität, der unpolitisch denkenden Mutter ein schlechtes Gewissen zu machen. Ein leichtes, ein zu leichtes Spiel. Ohne Skrupel setzte ich sie matt und verschaffte mir so die Freiheit, von ihr nicht weiter gestört zu werden.
    Auch abends beim Bier mit alten Schulfreunden konnte ich von meiner fixen Idee nicht lassen. Was wir mit der wichtigtuerischen Weisheit der Fünfundzwanzig] ährigen redeten, über Frauen, Politik, den Mondflug und die alten Lehrer, habe ich vergessen. Ich erinnere nur, wie ich die Freunde, die Jura studierten, mit dem Freispruch ihres Kollegen R. aus der Gemütlichkeit riss. Nur Lutz fand das Urteil skandalös, Erich rettete sich ins Formale, Günter hoffte auf die Revision: Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Alle dachten sozialdemokratisch, tadelten mich aber, dass ich ihren Kollegen Kammergerichtsrat a. D. ganz nüchtern als Mörder bezeichnete.
    - Die Nazipartei, antwortete ich ungefähr, war eine an die Macht gekommene kriminelle Vereinigung, oder? Hitler, der Obermassenmörder, setzte die Richter am Volksgerichtshof ein, auch das Parteimitglied R. Und wenn der reihenweise Leute töten lässt, die 1943 nicht mehr an Hitlers Endsieg glaubten, was ist der dann anderes als ein Mörder?
    - So kannst du das aber nicht sehen, du Laie, es gibt eindeutige

Weitere Kostenlose Bücher