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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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juristische Definitionen, wandte Erich ein.
    Günter beeilte sich, den § 211 zu zitieren:
    - Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.
    - Da habt ihr's doch, sagte ich, niedrige Beweggründe! Sind es etwa keine niedrigen Beweggründe, wenn einer Juden verfolgt und vernichten lässt wie unser fleißiger Drogist?
    - Warum seid ihr Berliner immer so radikal?, fragte Erich.
    - Ich bin nicht radikal. Aber es gibt Fakten. Und die zählen mehr als unsere unerheblichen Meinungen.
    Mit der Anspielung auf den Drogisten war es mir gelungen, die Freunde zu erschrecken. Der Mann hatte in seiner Drogerie, beste Lage, mitten in der Stadt, Parfüm, Zahnbürsten, Lametta, Kondome, Weihnachtskerzen und so weiter verkauft, ein freundlicher Herr an der Kasse, Vorstand des Sportvereins, die übliche Karriere, bis Eichmann in Jerusalem vor Gericht stand. So kam es heraus: Des Massenmörders engster Mitarbeiter in Budapest war unser Drogist Herrmann Krumey, hunderttausendfache Beihilfe zum Mord, außerdem hatte er 250 000 Dollar von Juden erpresst, die er dann doch ins Gas schickte. Inzwischen war er zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Obwohl sie ihn für schuldig und die Strafe für milde hielten, genierten sich die Freunde, wenn die Sprache auf ihn kam. Als fühlten sie sich beschmutzt, weil wir zu der Zeit, als der SS-Mann enttarnt wurde, mit seiner Tochter in der Tanzstunde Foxtrott und Rumba geübt hatten.
    - Wenn die niedrigen Beweggründe, setzte ich nach, Parteiprogramm oder Regierungsprogramm sind und ins Gesetz geschrieben werden, dann bleiben sie doch niedrige Beweggründe. Oder sind es etwa höhere Beweggründe, wenn dieser R. alle, die keine Nazis sind, die halbwegs anständig sein wollen, aus der Volksgemeinschaft ausmerzen lässt?
    Die Freunde schwiegen. Über Krumeys Schuld waren wir einig. Deshalb mussten sie es als unfair empfinden, dass ich den Schreibtischtäter aus Budapest, der kein Jurist war, mit dem Schreibtischtäter aus Berlin, der den stolzen Titel Kammergerichtsrat führte, auf eine Stufe stellte.
    Erich fasste sich als Erster.
    - Ausmerzen ist kein juristischer Begriff.
    - Aber er steht in den Urteilen, sagte ich.
    - Woher weißt du denn das?
    - Ich hab eins gelesen. Hast du je ein Urteil des Volksgerichtshofs in der Hand gehabt? Du? Du?
    Wieder ein billiger Sieg. Ich suchte, ich brauchte solche Triumphe, weil ich mit dem Vorsatz, ein guter Mörder zu werden, völlig allein war. Jedes dieser Gespräche, deshalb schmücke ich meine Beichte mit diesen Geschichten und alten Argumenten, trieb mich zur Tat.
    Als ich eines Abends, spät nach ein paar Bieren, im Wohnzimmer noch fernsehen wollte, sah ich mich, kaum hatte ich das Licht angemacht, unverhofft umzingelt. Zehn, zwanzig strenge Köpfe blickten mich strafend an. An allen Wänden Bilder der Vorfahren, Fotos, fotografierte Gemälde, schöne und strenge, milde und harte, hässliche und verschmitzte Gesichter. Alle gerahmt und im Lot, aber sie schwankten, wenn ich sie fixierte, die Adligen und die Bürgerlichen getrennt voneinander und doch einig wie im Chor auf mich einredend: Tu's nicht, tu's nicht! Sie beschworen Anstand, Werte, Tradition, Vernunft, die Zehn Gebote, von allen Seiten schwirrten die Vokabeln der guten Erziehung um meine Ohren. Sie waren älter als die Großeltern, manche aus dem tiefen 19. Jahrhundert, ich wusste wenig von ihnen und bildete mir ein, alles anders, alles besser, alles richtiger machen zu können als Eltern und Voreltern. Alle Mahnungen prallten an mir ab. Und ich weiß noch, welche Lust der Befreiung ich empfand, als ich ihnen mit der lallenden Kraft eines mittleren Rauschs entgegenhielt: Fürchtet euch nicht!
Zeichen setzen
    - Man muss ein Zeichen setzen!, könnte Robert zu Georg gesagt haben.
    - Welches Komma meinst du?, wird der Arzt gefragt und dann die Lautstärke des Radios noch leiser gedreht haben. Sie brauchen die Nachrichten, nicht die Musik aus London.
    Robert lacht über Georgs Witze, Georg über Roberts Neigung zum Pathos. Sie trauen einander, sind eingespielt, sie ergänzen sich. Georg ist Ende dreißig und bedächtiger als sein Freund, Robert Anfang dreißig, ein Enthusiast. Sie arbeiten seit Jahren Hand in Hand, keiner hat dem ändern eine Dummheit vorzuwerfen. Besonnen in jeder

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