Mein Jahr als Mörder
vier haben sich zu viel vorgenommen im Frühjahr und Sommer. Er hetzte nur noch hin und her zwischen Krankenhaus, Wohnung und den Treffen, ständig unterwegs, er ließ sie nur wissen: die Freunde.
Freisler brüllt: Kommunisten, feindhörig! Freisler schimpft: Defaitisten, Intellektualisten! Freisler schreit: Dem Führer, dem deutschen Volk und dem deutschen Reich in den Rücken gefallen! Freisler trompetet: Jeden tapferen Soldaten draußen an der Front verraten! Freisler keift: Juden als deutschblütig getarnt und gemästet! Freisler bringt die Soldatenkinder zum Lachen: Und sie, diese intellektualistischen Schwachköpfe, wollten die Macht an sich reißen!
Der zweite Richter neben ihm sagt und fragt fast nichts, er nickt und grinst und schreibt fleißig mit, obwohl eine Protokollantin in der Ecke sitzt. Auch er trägt ein Hakenkreuz auf der Robe.
Nach und nach beginnt sie zu ahnen, was in Georg und seinen Freunden vorgeht. Nicht nur das Gerichtsspektakel, nicht nur das drohende Urteil machen sie so verschüchtert und hilflos. Es ist viel schlimmer, wahrscheinlich hören sie erst jetzt, was ihnen alles vorgeworfen wird, was die Gestapo alles aus ihnen herausgequetscht hat, welche staatsfeindlichen Handlungen unter Schlägen und Folter zusammengekommen sind. Und jeder wird sich fragen: Diesen Punkt hab ich doch mit so viel Mühe verschwiegen, wer hat denn das nur verraten? So werden sie sich vielleicht gegenseitig verdächtigen und beschuldigen und stille Wut gegen die ändern richten.
Und dann der Hohn! Hier zuhören müssen, wie alles, was sie getan haben, und sie haben nur Gutes getan, von diesen Schergen verrührt, verfälscht, in den Dreck gezogen wird. Jede Hilfe für einen Verfolgten, jede Regung der Anständigkeit, jeder kleine Versuch, freier zu atmen und den Krieg dieser Barbaren etwas erträglicher zu machen, alles wird übersetzt in die Sprache der Niedertracht und in die Sprache der Brüller. Das Entsetzen macht ihn noch bleicher, Georg blättert nervös in einer Akte herum, es wird die Anklageschrift sein, er duckt sich vor dem Gebrüll, er fasst es nicht, was da steht, er fasst es nicht, was er hört. Er schaut wieder zu ihr, über die riesige Entfernung sieht sie durch die Mauer der Soldatenschultern und Kommissnacken die Augen eines schwer Verwundeten.
In der rechten Ecke, direkt unter der Hakenkreuzfahne, eine Büste des Führers, den Blick auf die Angeklagten gerichtet. Freisler brüllt, die Nazis in Roben nicken, die jungen Nazis in Uniform amüsieren sich, was für ein Spektakel!
Sieh sie dir gut an, ihre Gesichter, in ein, zwei Jahren werden sie am Ende sein, der ganze Wahnsinn, dieser Hass wird aufhören, bald aufhören. Georg muss nur durchhalten, die ein, zwei Jahre irgendwie überleben. Sie werden nicht mehr lange brüllen, nicht mehr lange ihre verfluchten Urteile sprechen, dann wird der Krieg vorbei sein. Dann werden sie um Gnade bitten, dann werden sie zu Georg kommen und um Nachsicht und milde Urteile betteln.
Sie müsste diese Bande hassen, aber sie kann nicht, sie kann nicht hassen. Auch Georg kann nicht hassen. Sie will, dass der Hass aufhört. Ein Leben ohne Hass. Die Liebe zu den Menschen, sagte Georg, ist verboten in diesen Zeiten. Sie ist traurig, traurig auch über die jungen Kerle vor ihr. In den rasierten Nacken sieht sie den Griff des Todes. Bis zum Ende wird mindestens die Hälfte dieser Soldaten, die sich jetzt an Freislers Hohn freuen und auf die Schenkel schlagen, in der Erde verscharrt sein, im Schnee oder im Schlamm liegen, von Wölfen, Hunden angefressen. Sie werden nie die schlichte Wahrheit erfahren, dass Georg, Robert, Paul und Herbert auch ihr Leben retten wollten.
Sie hofft, dass wenigstens Georgs Verteidiger das sagt mit der Liebe und dem Hass. Aber dieser Herr Ahlsdorff ist kein Verteidiger, er spricht von der Schwere der Tat, als habe Georg gemordet, geraubt, verführt. Er bittet um eine gerechte Strafe und kommt sich kühn dabei vor, weil er das Wort gerecht ein wenig betont vor diesem Gerichtshof der allerhöchsten Ungerechtigkeit. Auch die anderen Verteidiger, Dr. Kunz für Robert, Dr. Weimann für Herbert, von Rohrscheidt für Paul, voll Abscheu für ihre Mandanten, bringen kein freundliches Wort zustande, sie brüllen nicht, schimpfen nicht, geifern nicht, aber sie verteidigen auch nicht. Wie abgesprochen fordern sie eine gerechte Strafe.
Von diesen Herren ist nichts zu erwarten, von diesen Herren wird das Wunder nicht kommen, die Herren Juristen,
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