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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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rücken, müssen wir den Leuten sagen, dass der Widerstand lebt und wächst. Und was nach den Nazis, nach der Niederlage kommen soll. Zeichen setzen für die enttäuschten und isolierten Antifaschisten. Die Gruppe vergrößern, neue Leute anwerben, denen müssen wir erklären, was wir denken, was wir wollen, worüber wir uns einig sind: 1. Sturz des Faschismus in ganz Europa. 2. Vorbereitung der Antifaschisten auf die Macht. 3. Wiederherstellung der demokratischen Grundrechte. 4. Sozialismus, ohne die Stalin'sche Diktatur. 5. Die Vereinigten Staaten von Europa.
    Beide Männer sind müde. Erschöpft vom Beruf, Georg kann sich im Krankenhaus vor Arbeit kaum retten. Angestrengt von der pausenlosen Vorsicht und der Maske der Harmlosigkeit vor den Nazis und überall lauernden Verrätern. Gehetzt von der Suche nach neuen konspirativen Ideen, Verstecken, Helfern, Geldgebern. Strapaziert von den immer weitläufigeren Kontakten, den längeren Wegen durch die Stadt. Je mehr Verbindungsleute die E. U. hat, desto misstrauischer muss man sein. Entkräftet von den Bombennächten, den Stunden im Keller, und Georg hat nun ein zweites Kind, das bei Sirenen und Einschlägen beruhigt werden muss. Die verdrückten Tränen, wenn wieder ein Bekannter oder Freund auf dem Balkan, in der Wüste oder in Russland verscharrt wird. Der stumme Blick jeden Tag auf die Todesanzeigen mit den Militär kreuzen und die wachsenden Trümmerhaufen an den Straßenrändern.
    Sie sind zu erschöpft, den Verführungen der Maschine länger zu widerstehen. Sie fühlen sich sicher, bis jetzt ist alles gut gegangen.
    - Du hast bestimmt schon einen Text in der Tasche, wie ich dich kenne, sagt Georg.
    Dann fallen sie über Roberts Entwurf her, streiten und redigieren, glücklich, die verbotenen Wörter einmal auf dem Papier zu sehen, die sie immer nur gedacht und leise ausgesprochen haben.
    Glauben sie in ihrem Übermut an die Macht der Wörter? Es wird sich nie mehr klären lassen, ob die Freunde beim Gespräch in der Groscurth'schen Wohnung über das erste Flugblatt eine Flasche französischen Cognacs getrunken haben, wie Georg im Verhör der Gestapo behauptet. Niemand weiß, mit wie viel Taktik die Todeskandidaten antworten mussten. Oder ob Georg auch einen Entwurf bereithielt, wie Robert im Verhör meinte. Sicher ist nur, dass sie mit einem gemeinsamen Manifest, das später Antwort des ZK der EU an alle Antifaschisten überschrieben wurde, bei Herbert und Paul auftauchten. Sicher ist, das Risiko, die Flugblätter könnten Spuren legen, wog ihnen weniger als der Wunsch, im Juli 1943 neue Mitglieder und Helfer zu gewinnen.
    Es wird nicht zu klären sein, ob die Vierergruppe den Text schon für eine Vervielfältigung geeignet hielt oder weiter daran feilen wollte, wozu es aber nicht gekommen sei, wie Georg im Verhör angibt, oder ob man mit Mehrheit zustimmte, wie Robert behauptet. Sicher ist, dass Georg den Vervielfältigungsapparat mit dem Auto vom Institut in Herberts Dachgeschosswohnung in die Rankestraße schaffte. Sicher ist auch, dass Robert den Mut oder Leichtsinn hatte, wer will das heute entscheiden, den Entwurf einer Stenotypistin zum Schreiben auf die Wachsmatrize anzuvertrauen, deren Mann als Kommunist seit 1934 in Haft ist, seit 1939 im KZ. Von der Matrize stellten Robert und Herbert etwa 40 Exemplare her.
    Es wird nicht zu klären sein, warum Robert innerhalb weniger Tage gleich weitere drei Flugblätter im Namen der E. U. herstellte, in denen er seine Ideen vom Sozialismus ausbreitet, von der «Vorbereitung der Ergreifung der Macht» spricht und die Zukunft Europas skizziert. Georg gibt an, ebenfalls im Verhör, er sei überrascht gewesen, weil in seiner Gegenwart nicht davon gesprochen worden sei, dass derartige Papiere verfasst werden sollten. Das könnte glaubwürdig sein, da er gleichzeitig bekennt, der Inhalt der drei Blätter stamme zum Teil aus dem von Robert und ihm verfassten Entwurf, zum Teil seien es neue Passagen von Robert. Es wird auch für immer ungeklärt bleiben, ob Georg, wie seine Schwester Luise Döring behauptete, Robert gedrängt habe, die drei Flugblätter sofort zu verbrennen, was dieser versprochen, aber nicht getan habe.
    Sicher ist, diese Flugblätter wurden nie verteilt. Drei Männern, die er für zuverlässig hielt, zeigte Robert das erste Blatt, und Georg gab es mindestens einem Freund zu lesen.
    Sicher ist auch, dass Anneliese Groscurth, Antje Havemann, Grete Rentsch und Maria Richter entsetzt waren, als sie, jede

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