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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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wird überwacht. Das Dorf ist umstellt, und wenn Sie zu irgendwelchen Nachbarn schleichen, um dort zu telefonieren, sparen Sie sich die Mühe, das wird uns nicht entgehen, das wäre Beihilfe zum Hochverrat!
    Die Männer springen ins Auto und rasen los, Jakob Döring tappt schneeweiß in die Küche zurück. Er spricht kein Wort.
    Nach einer ändern Version sei Georg wenige Tage zuvor gewarnt worden oder habe sich beobachtet gefühlt und die Dörings gebeten, ihn zu verstecken oder ein Versteck zu suchen. Diese seien jedoch selbst seit längerem von der Gestapo bedroht worden: Wenn Sie dem helfen, dann gibt es Sippenhaft. Und hätten, trotz Luises Bedenken, die Bitte abgelehnt. Aber es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass Georg Groscurth so töricht gewesen wäre, in der Nähe seiner Schwester, Schwiegermutter und Kinder in einem Nazidorf Unterschlupf zu suchen. Eher schon bei der Mühle von Weißenhasel.
    Nach einer dritten Version sei das Haus Döring wirklich von Polizei umstellt gewesen und die Ortsausgänge bewacht, Jakob Döring habe versucht, über den Acker zu gehen und vom Telefon eines Nachbarn aus den Schwager zu warnen. Er habe die Uniformen im Dunkeln gesehen und zurückkehren müssen. Aber es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass die Gestapo so viel Personal für diesen Einsatz mobilisiert hat.
    Sicher ist, an diesem Samstagabend wird der Keim für ein Familientrauma gelegt: Hilfe? Verrat? Was konnte man tun? Es beginnt mit dem zweijährigen Rolf, der in der Nacht, während seine Eltern etwa vierzig Kilometer entfernt in Weißenhasel bei Bebra verhaftet, durchsucht und nach Kassel transportiert werden, fürchterlich losschreit und lange Zeit von niemandem zu beruhigen ist, bis ihn Tante Luise und Onkel Jakob in ihr Bett nehmen. Während der Onkel in seinen Träumen das Gemetzel des Ersten Weltkriegs fortsetzt, wird die Tante die Schuld an der Ermordung ihres Bruders Robert Havemann geben und ihn in ihren Träumen und noch im Tod verdammen.
    Sicher scheint auch, dass Luise Döring, seit Jahren in Sorge um Georg, sich von einer Schneiderin in Hünfeld die Karten legen ließ und stets mit besten Zeichen getröstet wurde - bis eine Woche vor der Verhaftung die Karten so liegen, dass die Schneiderin sich weigert, der Bäuerin eine Deutung zu geben. Erst nach der Hinrichtung gesteht sie: Ich habe Ihren Bruder tot gesehen.

Der Grundsatz der Treue
    Anneliese Groscurth will mit Politik nichts zu tun haben. Nicht schon wieder in einem Krieg leben, den man zur Ab-wechslung den Kalten nennt. Seit dem Ende der Blockade aber rächen sich die westlichen Behörden für die von den Sowjets verschärfte Not und Spaltung und schlagen auf alles ein, was nicht antikommunistisch ist. Frau Groscurth will sich zurückhalten. Sie schweigt, als am Gedenktag für die Opfer des Faschismus im September 1950 Juden und Kommunisten, die gegen Hitler gekämpft haben, von der Westberliner Polizei, überwiegend ehemalige Nazis, blutig geschlagen werden. Sie hört, dass im Westen Jugendbanden finanziert werden, um Sabotageakte bei der S-Bahn auszuführen oder Brände im Ost-Sektor an Zeitungskiosken und HO-Baracken zu legen, das mag Propaganda sein. Tatsache ist, in einem Aufruf des Senats wird die Volksbefragung als Manöver nach dem Vorbild der NSDAP bezeichnet, Anneliese versteht die verdrehte Welt nicht mehr, sie schweigt. Der Dramaturg Schmitt, der Vorsitzende des Ausschusses, wird vor dem Schöneberger Rathaus verhaftet, weil er mit der Berliner Verfassung demonstriert, die als Beweismittel beschlagnahmt wird. Sie hört von Ärzten und Journalisten, die für den Frieden kämpfen, wie sie von Jugendbanden auf der Straße überfallen und verprügelt wurden. Überlebenden der KZs streicht man, weil sie Kommunisten sind oder waren oder sein sollen, die Entschädigungen als Nazi-Opfer - alles regt sie auf, aber sie hält sich zurück.
    Sie will diese Ost-West-Feindschaftsspiele nicht mitmachen. Wer im Osten nicht auf Linie ist, dem geht's schlecht, wer im Westen nicht auf Linie ist, hat auch nichts zu lachen. Im Osten regieren Hartköpfe, dort schickt man Leute nach Sibirien oder ins Gefängnis, aber auch im Westen ist man nicht zimperlich mit Zensur, Gewalt, Verboten. Die Polizeischlacht vom 15. August zeigt ihr: Sie ist nicht das einzige Opfer. Sie wird nur mit Rechtsbrüchen der Behörden verfolgt, mit einem Paragraphen aus der Nazizeit. Das Arbeitsgericht, da ist sie sicher, wird sich an Gesetze und nicht an Verleumdungen halten.
    Wer

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