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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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so werden wie Eggstein. Den alle für leicht verrückt halten, nur weil er konsequent ist, weil er nicht nachlässt. Beschränke dich auf das eine Urteil, auf die Sache gegen Groscurth und seine Freunde, schreib das Buch, tu deine Tat, aber werd nicht zum Kämpfer gegen die Windmühlen, zum verlachten Störenfried der Justizmühlen, zu einem kraftlosen, viel zu kleinen Herakles vor den viel zu großen, ewig stinkenden Ställen des Augias.
    Das war ein Nein gegen Eggstein, der freundlich zu mir war, Tee servierte, mich beriet und arbeiten ließ. Ich konnte nicht einfach nach einer halben Stunde gehen, damit hätte ich ihn beleidigt. Ich ließ mir nichts anmerken und studierte weiter, schrieb Sätze ab und wurde immer heiterer und gelöster dabei, weil eine Kette von Assoziationen mich beglückte: Sündeninferno - Göttliche Komödie - die Kreise der Hölle in Eggsteins Archiv und im Braunbuch - die Hölle neu definieren -die ganze versammelte Bande in einer neuen Göttlichen Komödie schildern und wie Dante an ihren eigenen Sünden aufspießen und mit den bösesten Einfällen schmähen - eine Teuflische Komödie schreiben- oder die bittere Groteske: keine Bestrafung der Verbrecher wie bei Dante, sondern die Nazis im Paradies, ihre Gegner im Inferno ...
    Ich hätte nun aufstehen und mich verabschieden können. Aber ich fürchtete, bei Eggstein als oberflächlich und unsolide zu gelten, blieb noch eine Stunde und machte Notizen für die unendliche Commedia.
    Endlich wagte ich zu gehen, obwohl Eggstein mir noch einen Tee einschenkte. Ich fragte ihn, ob im Osten vielleicht noch mehr Material über R. zu finden sei.
    - Bestimmt, meinte er, aber glaub bloß nicht, dass sie dir was zeigen. Die benutzen das, wenn sie das politisch brauchen und instrumentalisieren können, aber nicht, wenn unsereiner ein bisschen Wahrheit erforschen will.
    - Und du kriegst da auch nichts?
    - Ich halt mich lieber zurück. Wenn die DDR-Leute sagen:
    Alte Nazis in Amt und Würden, also ist die Bundesrepublik ein faschistischer Staat, da mach ich nicht mit. In einem faschistischen Staat hätten wir die Ausstellungen nicht machen dürfen, da hätten sie mich allein für dies Archiv hier an die Wand gestellt. Der Einzige, dem ich traue, und das sag ich in diesen Vietnamzeiten besonders gern, ist ein Amerikaner, Robert Kempner, du weißt, der Ankläger in Nürnberg.
    Mein Respekt vor Eggstein wuchs, ich hatte das Gefühl, diesem Einzelkämpfer beistehen zu müssen, obwohl ich das auf keinen Fall wollte. Ich hätte ihm gern gut zugeredet, durfte aber nicht zu freundlich sein, dann hätte er gefragt: Willst du mir nicht helfen?
    - Und womit befasst du dich gerade?
    - Warum Adenauer im Frühjahr 1951 die ehemaligen Nazi-Beamten alle, fast alle wieder einstellen ließ, mit Rechtsanspruch auf eine Stelle sogar, sodass du mit einem NSDAP-Parteibuch vorgezogen wurdest vor allen ändern, Christdemokraten, Sozialdemokraten sowieso und den nicht parteigebundenen Leuten. Und für die sechs verlorenen Jahre durften sie, wer durfte das sonst, ihre Bezüge nachfordern.
    Es war zu viel, ich musste Eggsteins Gewölbe der Finsternis so schnell wie möglich verlassen. Ich hätte ihn lang genug von der Arbeit abgehalten, behauptete ich, dankte und versprach, bald wiederzukommen.
    Erst draußen auf der Straße, als die Panik nachließ, begriff ich, was Eggstein gesagt hatte. Im Frühjahr 1951 wurden die Nazis pauschal rehabilitiert - gleichzeitig begann man Leute aus dem Widerstand wie Anneliese Groscurth zu verfolgen, wenn sie linker Neigungen verdächtig waren oder sich der Staatsideologie des Antikommunismus widersetzten. Wie hing das zusammen? War A der Vor wand für B oder umgekehrt? Soll ich an Zufälle glauben?
Die Gestapo in der Bauernküche
    In Wehrda sollen sie verhaftet werden, Georg und Anneliese. Am 3. September verrät Paul Hatschek die Namen, am 4. September weiß die Geheime Staatspolizei schon, dass die Groscurths nicht in Berlin zu finden sein werden, sondern auf dem Land, seit etwa zehn Tagen in Urlaub bei seiner Schwester Luise Döring, wo auch die Kinder evakuiert sind. Drei Beamte aus Kassel werden in einem DKW über die Autobahn nach Süden geschickt, das Fernschreiben mit der Beschreibung des Hochverräters und seiner Frau gefaltet in der Tasche. Sie jagen in höchstem Tempo über die hessischen Berge, prüfen, weil die Gesuchten auf der Flucht sein könnten, beim Überholen die Nummernschilder der wenigen anderen Autos, es gibt kaum noch Leute

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