Mein Jahr als Mörder
die Ost-West-Feindschaft nicht will, steht ziemlich allein. Sie hat keine Partei, die ihr den Rücken stärkt, sie will keine Partei, sie will sich nicht unterordnen. Sie hat nur ein paar Freunde, die ähnlich verdächtig sind wie sie.
Zum Glück gibt es Robert, aus dem ein bedeutender Mann geworden ist. Einer, der sich mit einem Artikel über die Gefahren der Wasserstoffbombe als Leiter des Kaiser-Wil-helm-Instituts aus dem Westen verabschiedet und seine Zweitwohnung in Zehlendorf behalten hat. Professor an der Humboldt-Universität, Atomwissenschaftler, internationaler Friedenskämpfer, Sachwalter des Widerstands, immer in der ersten Reihe, berühmt, agil, tüchtig.
Ein paar Tage nach den Ereignissen vom 15. August steht er vor der Tür, der blasse, schlaksige Mann, charmant und herzlich, aufmunternd wie immer. Er taucht öfter mal in der Lindenallee auf, mal als Patient, mal um zu plaudern.
Diesmal hat er, das merkt sie schnell, einen Auftrag. Sie sprechen über den Überfall, sie sind sich einig im Entsetzen, in der Angst vor dem Faschismus der Polizei und der Ämter, in der Sorge um einen neuen Krieg. Es dauert nicht lange, und dann, stelle ich mir vor, könnte Robert sie mit dem Satz verwirren:
- Ali, wir müssen ein Zeichen setzen.
- Was für ein Zeichen denn?
- Wir müssen uns wehren gegen all das, was da passiert. Wie sie mit dir und den aufrechten Antifaschisten umspringen, da können wir nicht länger stumm bleiben und tatenlos.
- Ich wehre mich doch, der Prozess geht voran!, wird Anneliese geantwortet haben.
- Wir müssen mehr tun. Zum Beispiel genau untersuchen, wie es zu dem Polizeiüberfall am 15. August gekommen ist, in allen Details, die Schuldigen ermitteln, die Verantwortlichen, und die Namen der Täter in die Öffentlichkeit bringen.
- Und wie?
Wahrscheinlich hätte Robert ungefähr so geantwortet:
- Wir gründen einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Unrechts und der faschistischen Umtriebe in Westberlin. Ich dachte, wir brauchen dafür ein Symbol, eine Leitfigur, eine Tradition, den Namen eines vorbildlichen Antifaschisten, deshalb bitte ich dich, uns die Zustimmung zu geben, den Ausschuss nach Georg zu benennen. Die E. U., unser Widerstand, entschuldige, ist ja völlig vergessen, und wir könnten mit Georgs Namen auch seinen Kampf gegen Faschismus und Krieg wieder aufleben lassen und das Gedenken an ihn wachhalten. Ich bin sicher, das wäre in auch in seinem Sinn.
Wenn es um Georg geht, wird sie schwach, das weiß Robert.
- Ja, sagt sie fast tonlos, das wäre in seinem Sinn.
- Und du, das bekannteste Opfer des neuen Faschismus in Westberlin, sollst in diesem Ausschuss natürlich nicht abseits stehen. Wir bitten dich, da mitzumachen und dich als Georgs Witwe mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit zu wenden.
Robert schmeichelt, er verehrt sie, das spürt sie. Er hat schon viele Frauen rumgekriegt, das weiß sie, jetzt ist er wieder in festen Händen, aber so fest auch wieder nicht, sie muss aufpassen.
- Du weißt, das ist nicht meine Art, Robert. Und übermorgen ist der Termin beim Gericht, da muss ich erst mal durch.
- Sicher. Aber mit deiner Entlassung, deinem Prozess bist du nicht mehr neutral, du bist längst eine öffentliche Figur.
- Ich will nicht in eure Partei, ich bin und bleibe bürgerlich.
- Gerade weil du nicht in der Partei bist, schätzen wir dich.
- Mach keine Scherze mit mir, Robert!
Am 21. August vor dem Arbeitsgericht in der Babelsberger Straße geht alles sehr schnell. Frau Groscurth erläutert, ohne Anwalt, die acht eindeutigen Rechts- und Verfassungsbrüche. Sie betont, dass jener § i Absatz 2 der Disziplinarordnung bislang nur für Trinker, Dirnen und Kriminelle angewandt worden sei, nie aus politischen Gründen.
Der Vertreter des Bezirksamts bestätigt, nur der Tagesspiegel vom 1. Mai über die Kommunistenfiliale in West-Berlin sei Anlass für das Einschreiten gewesen. Mit der Pressekonferenz habe die Ärztin eine Keimzelle zur Beseitigung ihres eigenen Arbeitgebers gebildet. Es sei unerhört, dass sie die Existenz ihres eigenen Arbeitgebers gefährdet habe. In diesem Sinn sei sie unwürdig, habe den Grundsatz der Treue verletzt und fristlos entlassen werden müssen.
Nach der Erfahrung mit Freisler hat sie auf einen guten, väterlichen Richter gehofft. Dieser blasse, magenkranke Vorsit-zende sieht nicht aus wie einer, der auf Argumente hört, den Rechtsbrüche und Telefonterror empören, der ihre Armut oder gar ihr Schicksal
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