Mein Jahr als Mörder
zu spüren: Sie will nach Mexiko. Sie hatte, ohne mich, zweimal Hugo getroffen, bevor wir ihn am Bahnhof Zoo nach London verabschiedet hatten. Es verblüffte mich, dass er ein solches Feuer der Begeisterung bei ihr entfacht hatte. Geblendet vom Schnee, unterdrückte ich meine kitzelnde Eifersucht.
Sie erzählte, als feierte sie ihre und nicht Hugos Entdeckung,
von der unbekannten Malerin Frida Kahlo - im Jahr 69 war der Name vielleicht bis Paris oder London gedrungen, noch nicht bis Berlin, die Kahlo-Mode blühte erst viel später. Wir unterquerten die Neue Kantstraße, und nach ein paar Schritten, auf dem Uferweg an der flachen westlichen Bucht, bot sich der weite, von Pappeln und Platanen gerahmte Blick über den dünn vereisten, gefällig ins Stadtbild geschmiegten See hin zum Horizont der Häuser am Witzlebenplatz.
Ich bat Catherine, diesen Ausschnitt mit der Kamera festzuhalten. Links hinter dem kahlen Geäst versteckt das Eckhaus Kaiserdamm mit der Wohnung der Groscurths, rechts der graue neobarocke Kasten des Kammergerichts, wo die Herren saßen, die sie mit ihren Urteilen malträtierten. Drei Häuser zwischen Opfer und Tätern. Ich wollte das auf einem Bild haben.
Vielleicht drückte ich meinen Wunsch ungeschickt aus, vielleicht fühlte sie sich in gescheiten Gedanken über die politische Malerin, wie sie sagte, über die Frau als Opfer, über Malerei und Fotografie unterbrochen, jedenfalls reagierte Catherine ungewohnt heftig.
Ein Bilderbuchbild! Das fotografiere sie nicht, noch dazu bei Bilderbuchwetter. Ob ich ihr nicht mal fünf Minuten zuhören könne, immer fiele ich ihr mit Groscurth-Geschichten ins Wort!
Warum sie, konterte ich, die Kamera dabeihätte, trotz des Bilderbuchwetters.
Kurz, es wurde ein schöner Streit. Sie machte das Foto dann doch, denn sie hatte eine verträgliche Natur und mochte solche Konflikte so wenig wie ich. Aber der Knacks war da, seitdem trugen wir, meist freundlich verdeckt, den Kampf Groscurth gegen Mexiko aus.
Näher am Kaiser dämm, an der Schill er wiese, wo auf schlichtem Sockel das Schillerdenkmal stand, das heute den Gendarmenmarkt schmückt, stritten wir über die Frage, wohin es in der Osterzeit gehen sollte, nach Schleswig-Holstein oder London. Ich hatte mir fest vorgenommen, nach Schleswig zu fahren, um R. zu observieren, das Gelände zu erkunden, in dem er sich zeigte. Die Mordpläne hatte ich verworfen, aber ich wollte ihn unbedingt einmal sehen, um ihn richtig vergessen und begraben zu können. Mit einem Bild im Kopf, nicht mit der Pistole. Meine Version für Catherine lautete: Ich muss wissen, wie der Richter R. lebt, ob das stimmt, was die Presse schreibt, mit dem behaglichen Landhaus, möglichst ein Interview mit ihm, außerdem können wir auch in Schleswig-Holstein Urlaub machen, Nordsee, April, Geheimtipp und so weiter.
Während Catherine schimpfte und fauchte, starrte ich abwechselnd auf das Groscurth-Haus, das Kammergericht, auf rodelnde Kinder und auf Friedrich Schiller mit Schneemütze.
Ich hätte versprochen, mit ihr mal nach London zu fahren, ich sei ein ganzes Jahr dort gewesen, da wolle sie wenigstens vierzehn Tage haben. Sie sei entschlossen, in Mexiko zu fotografieren, ungefähr September, mit einer Freundin oder mit Hugo, deshalb sollten wir ihn besuchen, er sei der Experte. Am liebsten fahre sie mit mir, aber sechs Wochen ohne die Droge Arbeit, das gäbe es ja nicht. Ich hätte doch nichts dagegen, wenn sie mit einem Schwulen fahre?
Schillers Blick zielte ins Weite, Schiller hatte gewusst, was er wollte, stark gegen jeden Widerstand seiner Zeit, gegen die Erwartungen der Frauen. Schiller stand mir bei: Ich weiß, was ich will, ich muss fest bleiben, gegen jeden Widerstand. Die unsichtbare Verbindung zwischen diesen beiden Gebäuden sichtbar machen, zwei Justizskandale auf einen Streich aufdecken, das ist mein Job. Catherine geht ihren Interessen nach, ich meinen, das ist in Ordnung, das halten wir aus.
Doch die vernünftigsten Gründe, allzu vernünftig ausgesprochen, mussten ihr Herz enttäuschen. Sie hätte, das habe ich zu spät begriffen, mindestens eine Liebeserklärung gebraucht. So blieben wir gefangen in unserm Ernst, in den strikten politischen Ansprüchen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich sie wegen R. belügen musste. Und sie, weil sie gegen mich rebellieren musste.
Statt uns mit Schneebällen zu bewerfen, setzten wir die Runde um den Lietzensee und die stockende Debatte fort. Ganz Berlin stritt, warum sollten
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