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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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wir nicht auch streiten. Jeder grenzte sich ab gegen jeden. Es kam uns, verbohrt wie alle, völlig natürlich vor, uns an der Frage Schleswig oder London, Groscurth oder Mexiko festzubeißen. Wie leicht wären Kompromisse gewesen!
    Catherine wollte überhaupt nur noch in den armen Ländern, in der Dritten Welt fotografieren, das sei die Lösung ihres Dilemmas, da sehe sie wieder Sinn im Belichten und Entwickeln. Den letzten Anstoß, in Mexiko zu arbeiten, habe sie der Anzeige eines Stuhlherstellers zu verdanken, fünfzig nackte Ärsche.
    - Dahin geht die Fotografie, sagte sie, alles wird Werbung, und die Werbung wird Porno, Gewalt und Porno. Bald werden sie fünfzig Mösen zeigen, um billige Fruchtsäfte zu verkaufen. So geht es mit deiner Yoko Ono, vom Underground zum Kommerz in zwei Minuten!
    - In zwei Jahren.
    - Ich mach das nicht mit, antwortete sie, ohne Lust auf die alte Anekdote mit der Ono, ich muss dahin mit meiner
    Kamera, wo es was zu entdecken gibt, in die arme Welt, die unverbrauchte Welt.
    Nein, der Terror in Mexiko, das Massaker vor der Olympiade werde sie nicht abhalten, sie habe die Prügelei am Schöneberger Rathaus über standen und gelernt: Vorsicht vor der Masse. Der einzelne Mensch aber, zwischen Armut und Schönheit, das sei ihr Konzept, damit werde sie in Mexiko beginnen, und weder ich noch irgendwelche Nazirichter würden sie davon abbringen.
    Diese Entschiedenheit bewunderte ich an ihr - und war zu feige oder zu faul, meine Bewunderung auszudrücken. Mich zog es trotzdem nicht nach Mexiko- und es störte mich sehr, dass sie vielleicht mit Hugo fuhr. Das aber durfte ich nicht sagen, damit hätte ich das neuste der zehn Gebote verletzt: das der Emanzipation.
Zwei Männer im Mondschein
    Jeden Tag stand er mir vor Augen, seine schlaksige Figur, sein schmales Gesicht, mal neben Georg, mal neben Anneliese. Robert Havemann, die dritte Hauptfigur, an allen dramatischen Wendepunkten beteiligt. Immer aktiv, schnell, wortgewandt. Wenn einer weiß, wo es langgeht, dann er. Die Schlüsselfigur, und doch am schwersten zu fassen. Der Havemann der vierziger und der Havemann der fünfziger Jahre, beide waren präsent in den Dokumenten und Berichten, nur der Havemann des Jahres 1969, der als Kronzeuge so viele Fragen hätte beantworten können, fehlte mir. Seit er mit den Vorlesungen Dialektik ohne Dogma? den Sozialismus neu definiert hatte und zur ebenso gehassten wie verehrten Symbolfigur aufgestiegen war, blieb er unerreichbar.
    Havemann saß hinter drei Mauern, eine höher als die andere. Alle Kontrollen und Stempel für das Betreten des als Hauptstadt definierten Stadtteils berechtigten einen nicht, mal eben über die Ostberliner Grenzen hinaus in die Vororte und Dörfer zu fahren. Wer es trotzdem wagte und erwischt wurde, musste mit Strafen rechnen, mit einem Einreiseverbot, dem Ende aller Besuche. Zum Dritten wurden die Wege in Have-manns Nachbarschaft in Grünheide gründlich kontrolliert, weil auch DDR-Bürger vom Gift des Propheten des demokratischen Sozialismus nicht angesteckt werden sollten. Annäherungen mit Briefen oder Anrufen wären die reine Dummheit gewesen. Havemann war ein Star, umstellt, bewacht und abgehört, eingesperrt auf seinem schönen Grundstück, und wenn er sich einmal in die Stadt bewegte, wurde er von allen Seiten observiert, kein Schritt ohne Stasi. Es war aussichtslos.
    Nur sein Freund aus der Chausseestraße, der ihn öfter besuchte, konnte als Bote helfen. Die Antwort, die er mir irgendwann mitbrachte, enttäuschte mich, obwohl sie einleuchtend war. Havemann schreibe seine Erinnerungen, der Verlag in München warte schon, außerdem sei er krank, da könne er jetzt nicht extra, nicht meinetwegen auf das Sofa in die Chausseestraße kommen.
    - Bestimmt, sagte Biermann, schreibt er gerade das auf, was du aus ihm rausquetschen willst, die Geschichten von 43 und 44. Da hat er ja halbe Romane aufs Papier zu hauen, warum soll er ausgerechnet dir das erzählen? Da war er ja schön dumm, mein Lieber, das musst du schon ihm überlassen!
    Aber er brachte mir Grüße mit, solidarische, versteht sich, und ein Gedicht, ja, ein Gedicht von Havemann, Mein bester Freund.
    Drei Fragen hätte ich ihm gern gestellt, wenn ich damals so viel gewusst hätte wie heute:
    Sie dachten immer, hat einer Ihrer Freunde gesagt, Sie könnten die ganze Welt manipulieren. Aber wenn nun etwas falsch lief beim Manipulieren oder jemand dabei zerrieben wurde?
    Bei Ihnen gingen Opportunismus und Idealismus leicht

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