Mein Jahr als Mörder
Hand in Hand, hat einer gesagt, der mit Ihnen konspirativ gearbeitet hat. Aber wenn bei Ihren Freunden der Idealismus stärker blieb als der Opportunismus?
Sie werden oft als Überlebenskünstler bezeichnet. Können Sie sich vorstellen, dass Georg und Anneliese das nicht so gerne gehört hätten?
Selbst wenn diese Fragen sich schon damals gestellt hätten, ich hätte es nie gewagt, am Bild eines großen Mannes zu kratzen. Er war ein Vorbild und sollte es bleiben. Ich merkte nur, dass der Wunsch nach einem Treffen, das ohnehin aussichtslos war, allmählich verschwand. Inzwischen habe ich es aufgegeben, das Rätsel Havemann ergründen zu wollen. Ein tapferer Mensch und Genießer, ein kluger Optimist, ein gläubiger Provokateur, ein Frauenmann, ein Spieler mit Kalkül, da sind sich die Biografen einig. Über ihn ist so viel geschrieben worden, er selbst hat neben seinen Büchern unzählige Artikel und Interviews, Erklärungen und Bekenntnisse hinterlassen, tausend Leute wollen ihn gut gekannt haben und bieten die widersprüchlichsten Meinungen über ihn an, da kann ich nicht mithalten. Nur sein Gedicht zitieren, Mein bester Freund.
Mitten auf der großen breiten Straße standen wir.
Unbarmherzig hell strahlte der Mond am wolkenlosen Himmel.
Die verdunkelte Stadt erwartete wie jede Nacht - schon seit Monaten -das tödliche Feuer der Bomber.
Wir dachten an das Leben, an unsere Freunde, an unsere geheime Arbeit.
Du weißt - sagtest Du -was uns erwartet, wenn ...
Dazu - sagte ich -gehört heute nicht viel.
Ich liebe aber das Leben, wohl fast zu sehr; verstehst Du, daß ich gerne leben möchte;
manchmal habe ich Angst, nicht um mich, meine beiden Jungs, warum müssen sie denn gerade jetzt leben?
Dein großes Gesicht bewegte sich dabei anders als sonst.
Heute weiß ich, daß Du geweint hast.
Georg war ein wunderbarer Mensch, mein bester Freund.
Als sie ihn enthaupteten, war er 39 Jahre alt.
So schlecht die Zeilen sind, sie rührten mich. Robert, der im Zuchthaus Brandenburg mit viel List und Mut den Widerstand fortgesetzt hatte, der eine erstaunliche Karriere in der Partei, die immer Recht hat, überstanden hatte, dieser Robert dachte viele Jahre später immer noch so heftig an die verwischten Tränen des Freundes, dass der Chemiker den Pegasus besteigen und Erleichterung in einem Gedicht suchen musste.
Die Vergangenheitskamera zoomt: Vor der Bismarckstraße ioo, wo jetzt ein öder Betonkasten steht, damals das noch unzerstörte Gründerzeithaus mit Havemanns Atelierwohnung, schräg gegenüber der Oper, der Mond über der wenig zertrümmerten Stadt, die breite Straße mit Georgs Auto, da seh ich sie, die beiden jungen Männer, sich leise unterhaltend: Ich liebe aber das Leben.
Wie viele Gifte hat die Hydra?
Als schlichte Ärztin, das versteht Anneliese Groscurth endlich, ist sie ohne starke Sekundanten verloren in den feindlichen Gefilden der Juristen und in den dunkel möblierten Amtsstuben, wo die Hydra lauert. Der Anwalt macht Hoffnung, ein Richter kann irren, eine Kammer kann irren, in der nächsten Instanz sind die Richter vielleicht nicht so vorurteilsvoll, also noch einmal beim Landesarbeitsgericht alles von vorn, gleich im November die Berufung.
Der Verband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitswesens e.V. spricht sein Urteil noch vor dem Gericht: Der Vorstand hat beschlossen, Sie von der Mitgliedschaft auszuschließen. Sie atmet dreimal durch, fasst den Vorsatz, über die Kränkung hinwegzusehen, regt sich trotzdem auf, lässt sich den Schlaf stehlen. Die meisten dieser Ärzte im Verband sind tüchtige Nazis gewesen, vor kurzem noch mit dem Hitlergruß durch die Krankenzimmer gestiefelt, was soll man da erwarten?
Gleich darauf kommen ihre besten Freunde, er und sie Ärzte, Nachbarn in der Lindenallee, bei denen sie fünf Jahre lang ihre Sorgen ausbreiten konnte, mit deren Kindern die Söhne spielen durften, sie stehen im Flur, räuspern sich und sagen: Wenn du dich nicht binnen vierundzwanzig Stunden von den Kommunisten distanzierst, dann müssen wir alle Kontakte zu dir abbrechen, alle. Und sie halten sich daran.
Sie weiß nicht, ob die Freunde erpresst worden sind. Sie weiß nur, dass ihre wenigen Privatpatienten nun auch von anonymen Anrufern eingeschüchtert werden, manche suchen nur im Dunkeln die Praxis auf. Sie darf sich nicht aufregen, sie nimmt sich in Acht, keine Polemik gegen die Hydra hier und die Hydra dort, aber was tun, wenn die Tatsachen selbst polemisch sind? Im Einatmen und
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