Mein Jahr als Mörder
Ausatmen, im Aufsaugen und Ausspeien der Schriftsätze vor dem Landesarbeitsgericht sprüht das Gift aus den Nüstern: Nicht von der so genannten Volksbefragung distanziert - auf Seiten des Ostens - der Ostpresse Interviews gegeben - fortgesetzter Affront gegen den Senat- hemmungslose Feindschaft gegen ihn -Absicht ihn zu stürzen - während der Blockade keine humanitäre Gesinnung gezeigt - Tarnung als naive Frau mit dem Ziel, die Grundlagen der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und des Schutzes demokratischer Rechte zu erschüttern.
Was nützt da das Argument, sich für den britischen Sektor entschieden und jahrelang im Gesundheitsamt auf geopfert zu haben? Was nützt es, nach Beweisen zu fragen, die Volks-befragung sei eine kommunistische Aktion oder ein Angriff gegen die Verfassung und die Staatsordnung gewesen? Was nützt die Aufzählung der Minister, Christen, Ex-offiziere, Sozialdemokraten, Kommunisten und Antikommunisten, die wie viele Millionen Deutsche gegen die Wiederbewaffnung sind? Warum darf die Witwe eines Widerstandskämpfers nicht dieser Meinung sein? Wenn selbst der Präsident des Bundesverfassungsgerichts betont, zwanzig Gerichte in drei Bundesländern hätten das Verbot der Volksbefragung für rechtswidrig erklärt? Und wie soll sie verhindern, von der Westpresse in Grund und Boden verdammt und dafür in der Ostpresse gelobt zu werden, solange im Westen nur gelobt werde, wer im Osten verdammt werde?
Im Mai 1952 richtet die Hydra des Landesarbeitsgerichts sich zu voller Größe auf und spricht einstimmig aus allen neun Mündern aller neun Köpfe: Die Entlassung ist rechtens. Die Ärztin hätte, was ihr Schuldgefühl belege, zu der Vernehmung im Bezirksamt ein Exemplar der Berliner Verfassung mitgeführt, das sie als Ärztin nicht rein zufällig bei sich gehabt hat. Nicht weil sie gegen die Wiederbewaffnung sei, sei ihr gekündigt worden, sondern weil sie, obwohl keine Kommunistin, sich einer Aktion zur Verfügung gestellt hätte, die von den Gewalthabern der Sowjetzone ins Leben gerufen worden sei. Sie könne nicht verlangen, von einem Dienstherrn beschäftigt zu werden, den sie bekämpfe, dem sie Verbrechen und unmenschliche Terrormethoden vor werfe. Bei der besonderen Lage Berlins, posaunt die Hydra, würde es tatsächlich eine Selbstaufgabe bedeuten, wenn der rechtmäßige Berliner Senat in seiner Verwaltung so aktive Gesinnungsfreunde der auf den Umsturz unserer verfassungsmäßigen Ordnung hinarbeitenden östlichen Machthaber dulden würde, wie die Klägerin es ist.
Punkt. Kosten tragen. Folgen tragen. Wieviele Köpfe hat die Hydra? Obwohl Frau Groscurth noch keinen abgeschlagen hat, wachsen, nur weil sie nicht aufgibt, neue Köpfe nach. Das ist neu, das Problem hatte der alte Herakles noch nicht.
Eine Woche später: Die Beschwerde gegen die Aberkennung des Status als Opfer der Naziherrschaft wird vom Senator für Sozialwesen abgelehnt. Ihr Widerstand zählt nicht, Georg auch nicht, entschädigt werde sie nicht, weil sie kommunistisch sei.
Und der nächste Würgegriff: Sieben Tage nach dem verlorenen Prozess will das Landesarbeitsgericht die Kosten bezahlt sehen, 841,85 DM, und fackelt nicht lange, Zwangsvollstreckung.
Drei Kampfplätze gleichzeitig, zuerst muss der Anwalt bei der Gerichtskasse des Landesarbeitsgerichts die Groscurth' sehen Einkommensverhältnisse darlegen. Die kleine Praxis wirft kaum mehr als die Unkosten ab. Als Amtsärztin hatte sie 780 DM, jetzt verdient sie beim Berliner Rundfunk umgerechnet nur 250 DM. Sie wird nicht einmal zur Einkommensteuer veranlagt. Noch kriegt sie 136 DM als Waisenrente für die Kinder, aber das werden sie, wie zu befürchten steht, auch bald streichen. Bei den Rechtsbeiständen nichts als Schulden. Also bietet sie dem Gericht, bis sich ihre finanzielle Lage bessert, Zahlungen von 20 DM monatlich an.
Die Hydra gibt sich mit solchen Beträgen nicht zufrieden, sie schreitet zur Zwangsvollstreckung, der Obergerichtsvollzieher Friedrich Wessel klingelt in der Lindenallee. Die Ärztin sagt: Ich bin doch bereit zu zahlen. Er schaut sich um, zeigt auf zwei Teppiche und einen Läufer. Sie sagt: Erbstücke meiner Eltern, er klebt die Pfandsiegel. Sie stellt den Fuß darauf und weicht, protestierend, der Gewalt. Er lässt die Teppiche einrollen und mitnehmen.
Sie wehrt sich mit einem Vollstreckungsschutzantrag. Aber da fährt die Hydra einen neuen Kopf aus: Das Amtsgericht Charlottenburg leckt sich das Maul wegen der Zwangsvollstreckung.
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