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Mein Jakobsweg

Mein Jakobsweg

Titel: Mein Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Sauer
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einfällt, sie um Wasser zu bitten. Dünnhäutig vor Entkräftung, weine ich jetzt sogar um meinen verlorenen Sohn. Der junge Australier tröstet mich, hält meine Hand und zieht mich weiter.
    Die beiden haben es sich zur Aufgabe gemacht, mich bis zu der Herberge in Calvor zu bringen. Und endlich sind wir da, links neben der Straße steht einsam diese Herberge. Wir umarmen und küssen uns. Good, luck, you are a brave woman, sagen sie. Dann überqueren sie die Straße, winken mir noch einmal. Ich kenne noch nicht mal ihre Namen. Habe ich vergessen, sie zu fragen?
    Ich wende mich der Herberge zu.
    Vor der Tür sitzt ein junges Mädchen. Die Herberge ist zu, sagt sie.
    Aber um 16 Uhr macht sie doch auf, frage ich.
    Nein, ich glaube, hier ist Fiesta, lies mal den Zettel da am Fenster. Sie nimmt ihren Rucksack und geht die Auffahrt hinunter zur Straße zurück.
    Ich konzentriere mich auf diesen Zettel. Aus dem Text verstehe ich, dass diese Herberge wegen einer Fiesta in den nächsten drei Tagen geschlossen ist. Wie kann sie gerade jetzt geschlossen sein, wo so viele Pilger unterwegs sind! Ich lese den Zettel noch einmal genau durch. Am Ende bin ich mir nicht sicher, ob sie wirklich geschlossen bleibt, aber auch nicht sicher, ob sie um 16 Uhr geöffnet wird.
    Wenn hier wenigstens ein Wasserhahn wäre, denke ich verzweifelt. Aber das Grundstück ist nach hinten durch ein hohes Tor und hohe Zäune abgeschirmt.
    Sarria, geht es mir durch den Kopf. Du musst noch bis Sarria!
    Seit Stunden habe ich nichts mehr getrunken. Ich fühle mich wie ausgetrocknet, und die Nachmittagshitze kennt keine Gnade.
    Wieder ist der Pilgerweg neben der Straße in kleinen Hügeln angelegt. Ein paar Schritte hinauf, ein paar Schritte hinunter. Das schaffe ich nicht mehr; ich gehe auf der Straße. Doch die Sonne brennt erbarmungslos auf den Asphalt, während am Gehweg wenigstens Bäume stehen. So gehe ich dann doch wieder über diese kleinen Hügelchen - im Schatten.
    Mühsam taste ich mich vorwärts und zähle die Bäume. Bei jedem fünften bleibe ich stehen und stütze mich am Baum ab, um auszuruhen. Den Rucksack abzunehmen oder mich etwa ins Gras zu setzen, erscheint mir zu mühsam.
    Schon seit einer Weile sehe ich die Häuser von Sarria vor mir wie eine Fata Morgana, doch es scheint, als käme ich der Stadt nicht näher. Wieder halte ich mich an einem Baum fest. Eine Gruppe junger Pilger kommt des Weges. Munter und fröhlich unterhalten sie sich, ihr Schritt ist gleichmäßig schnell. Ach, wie sehr ich sie beneide! Nicht unbedingt um ihre Jugend, aber um ihre Kraft.
    Ich dagegen kann mich kaum mehr auf den Beinen halten. Da wendet sich mir im Vorübergehen ein junger Mann zu und packt mich bei den Schultern. Er sieht mir so direkt ins Gesicht, dass ich gezwungen bin, auch ihn anzusehen.
    Wasser, du musst trinken, sagt er, zieht seinen Wassersack hervor und hält ihn mir an die Lippen. Trink, trink, sagt er, aber ich spucke das Wasser wieder aus und auch die nächsten Schlucke. Dann endlich kommt das erste Wasser im Magen an und gurgelt und brodelt darin herum.
    Er ist Franzose, ein sehr gut aussehender junger Mann. Merkwürdig, ich glaube jedes Wort zu verstehen, obwohl er französisch spricht.
    Ach, du hast kein Wasser! Er greift in die Seitentasche meines Rucksacks nach der Flasche. Ich werde starr vor Schreck, weil mir der Rotwein einfällt, den ich immer noch in der einen Flasche habe und schon zwei Tage mit mir rumtrage. Den hätte ich längst wegschütten sollen.
    Aber er zieht zum Glück die leere Flasche heraus, sodass ich mich nicht auch noch für mein selbst verschuldetes Elend schämen muss. Dann füllt er sein Wasser in meine Flasche um und bringt mich etwas abseits unter einen Baum. Dort drückt er mich ins Gras und bedeutet mir, hier mindestens 20 Minuten zu ruhen. Mit den Worten: Du musst trinken, immer wieder trinken, gibt er mir die Wasserflasche in die Hand.
    Seine Gruppe, aus der er ganz plötzlich ausgeschert ist, um mir zu helfen, hat vor einer Wegbiegung auf ihn gewartet. Ich sehe ihm nach, wie er mit schnellen Schritten zu ihnen geht.
    Später werde ich sagen: Ein Franzose rettete mir vor Sarria das Leben. Ich weiß, das klingt sehr theatralisch. Aber ich bin nicht einmal sicher, ob es übertrieben ist, denn es ging mir wirklich nicht gut.
    Von Calvor bis Sarria sind es nur fünf Kilometer. Trotzdem habe ich für diesen Weg drei Stunden gebraucht. Jetzt muss ich auch noch durch die Außenbezirke, denn die Herberge ist

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