Mein Jakobsweg
nicht, wie bei mir beschrieben wurde, am Anfang von Sarria. Die Straße zieht sich immer mehr in die Länge, außerdem vermisse ich die gelben Pfeile. In einer Touristik-Information will ich mich nach dem Weg erkundigen. Das Büro ist klimatisiert und so angenehm kühl! Erschöpft sinke ich in einem Sessel nieder. Zwei junge Frauen beschreiben mir den Weg, sind dann aber ratlos, weil ich keine Anstalten mache, zu gehen. Also fragen sie mich, ob ich einen Arzt benötige, und bringen mir ein Glas Sprudel. Ich bleibe noch eine Weile in der Kühle des Raumes und erhole mich recht gut.
An dem beschriebenen Fluss steht auch eine Kirche. Schon denke ich, ich sei angekommen. Aber zwei Pilger sagen mir, ich müsse erst noch die Treppe da rauf, dann sei die Kirche mit der Herberge gleich rechts.
Ungefähr 30 Stufen und kein Schatten! Mich an der linken Hauswand abstützend, bezwinge ich nun auch noch diese Treppe. Aber sie haben kein Bett mehr für mich.
Jetzt weiß ich mir nicht mehr zu helfen. Völlig benommen setze ich mich auf den einzigen Stuhl in diesem kleinen Büro. Auch die Pilger, die nach mir kommen, müssen alle weitergehen. Ich aber bin unfähig, auch nur einen Schritt zu machen, und bleibe sitzen.
Die Straße weiter hinauf wäre eine private Herberge, sagt man mir. Noch weiter bergauf, das kann ich nicht. Ich bleibe weiter sitzen. Aber dann kommt mir ins Bewusstsein, dass mir die Zeit davonläuft und dort vielleicht auch schon alle Betten belegt sind.
Aber nirgends ist ein öffentlicher Hinweis zu dieser albergue. Weil ich nicht weiter durch die Straßen irren will, frage ich eine ältere spanische Frau. Sie ist sehr freundlich, nennt mich hija und bedeutet mir, ich solle mit ihr kommen, sie habe schöne Zimmer. Später sehe ich in meinem Wörterbuch nach: Hija heißt Tochter. Eine junge argentinische Pilgerin kommt hinzu und handelt einen Preis von acht Euro aus.
Gemeinsam folgen wir der alten Dame. Erst geht es an einer Baustelle entlang. Was soll danach noch kommen, denke ich misstrauisch. Doch schon stehen wir vor ihrem Haus; sie öffnet die neue, glänzend weiße Haustür und führt uns eine geschwungene Treppe aus feinem Holz hinauf.
Zunächst zeigt sie ihr Wohnzimmer, durch welches man in ein ganz sauberes, frisch gekacheltes Bad gelangt. Eine weitere Treppe hinauf, öffnet sie erst rechts eine Tür für mich, links ist das Zimmer für die Argentinierin.
Wie eine Oase in der Wüste erscheint mir dieses kleine Zimmer mit dem großen Bett, einem Nachtschrank, einem Tisch und zwei Stühlen. Es ist blitzsauber, die Wände frisch gestrichen. Durch das offene Fenster schaue ich auf die Kirche. Der Kirchturmzeiger steht auf fünf Uhr, die Glocken beginnen gerade zu läuten.
Als Erstes muss ich mir den Schweiß vom Körper waschen. Schnell nehme ich mein Waschzeug, wer weiß, wer noch alles duschen will, und hinke die Treppe hinunter. Tatsächlich begegne ich auf dem Flur einem Engländer, einem älteren Herrn, der ganz offensichtlich auch ins Bad will. Als hätte meine Gastgeberin mich erwartet, steht auch sie im Flur. In einem überraschend energischen Tonfall sagt sie zu dem Herrn: Señor, primero la Señora, und mit einer leichten Verbeugung in meine Richtung fordert sie mich auf, vor ihm ins Bad zu gehen.
Warmes Wasser rieselt über meine Haut, und langsam kehren meine Lebensgeister zurück. Leider kann ich mir nicht allzu viel Zeit lassen, dennoch wasche ich noch schnell meine getragene Wäsche.
Wieder ist das linke Fußgelenk stark geschwollen. Ausgerechnet in die Achillessehne hat sich die Entzündung verkrochen, sie schmerzt sehr. Aber es nützt nichts, darüber zu jammern! Ich reibe den Fuß mit Voltaren ein und ziehe einen elastischen Schutz darüber. Ich rechne kurz nach: Heute ist der dritte Tag mit Antibiotika. Heute Abend, morgen früh und morgen Abend werde ich jeweils noch eine Tablette nehmen, dann muss es genug sein.
Wenn ich heil in Santiago ankommen will, muss ich wenigstens morgen wieder mit dem Bus fahren. Obwohl mir das Gehen sehr schwerfällt, erkunde ich deshalb noch den Weg zum örtlichen Busbahnhof. Als ich durch Sarria hinke, wird mir noch einmal deutlich gemacht, was für ein Glück ich mit meinem Privatzimmer habe: Der große Run auf die Herbergen reißt und reißt nicht ab; es sind immer noch viele Pilger unterwegs, obwohl es jetzt schon nach 20 Uhr ist. Sie alle haben kein Bett und müssen noch fünf Kilometer weiter.
In einem Supermarkt kaufe ich ein und nehme sogar
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