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Mein Jakobsweg

Mein Jakobsweg

Titel: Mein Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Sauer
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Erst danach stimmen die Vögel ihr Morgenkonzert an. Ich bin überglücklich: Kann man sich etwas Schöneres vorstellen, als eins zu sein mit der Natur und der Welt und schlussendlich mit sich selbst?
    Nach Amenal wende ich mich dem Pilgerweg zu. Immer noch ist es recht dunkel. Ich mache mir Sorgen, dass ich eine Abzweigung verpassen könnte. Doch erst mal macht mir der Anstieg durch den Hohlweg zu schaffen; ich stöhne leise vor mich hin.
    Wenn nur der Schmerz in der Achillessehne nicht wäre! Doch mit dem nahen Ziel vor Augen gehe ich tapfer meinen Weg.
    Um halb sieben bin ich schon in Lavacolla. Hier an dem kleinen Flüsschen haben sich die Pilger früher gewaschen, ehe sie nach Santiago einzogen. Aber ich lasse das mal lieber und mache nur Rast. Ich habe bisher noch nichts gegessen.
    Jetzt kommen auch die ersten Pilger. Viele sind heute sehr schnell auf ihren Füßen. Auch ich bin ja bisher noch ganz gut vorangekommen, aber nun geht es aufwärts, und der Weg wird wieder mühsam und beschwerlich. Die Pilger von vorhin überholen mich.
    Ich atme tief durch: Nur noch dieser eine Berg! Ach, was sage ich, es ist ja nur ein Hügelchen von 300 Metern.
    Normalerweise achte ich gar nicht so sehr auf die Pilger, die an mir vorbeigehen. Aber diese Gruppe junger Männer ist mir dann doch aufgefallen. Sie hatten zwei junge Frauen in ihrer Mitte, und ich dachte noch: Die Mädchen sind doch nicht aus Zucker, oder warum tragen die noch nicht mal ihre Rucksäcke selbst? In der Herberge bin ich mit den beiden zusammen im Waschraum gewesen, wo sie genau wie ich ihre Wäsche ausgewaschen haben. Das schöne dunkle Haar des einen Mädchens war mir aufgefallen, die andere junge Frau war blond. An die vielen kleinen Kettchen, die sie am Arm trugen, kann ich mich auch erinnern. Später, zu Hause, gibt mir eine liebe Freundin einen Zeitungsausschnitt: Jenna Bush, die Tochter von US-Präsident George W. Bush, in Begleitung ihrer Freundin auf der Pilgerreise. Das waren die beiden! So kann ich unbekümmert sagen, ich habe neben Jenna Bush an einem Waschbecken gestanden. Vielleicht ein Symbol dafür, dass es auf dem Pilgerweg um andere, wichtigere Dinge geht als um Namen und Herkunft, Macht und Geld.
    Endlich habe ich es geschafft und bin oben auf dem Monte del Gozo, dem Berg der Freude. Santiago de Compostela liegt vor mir im Tal. Ich atme tief durch und setze mich nieder.
    Der elastische Verband ist inzwischen viel zu eng, ich muss ihn unbedingt abnehmen und ziehe auch gleich beide Stiefel aus. Die Ruhe tut mir gut. Ganz ohne Eile schaue ich mich um. Doch was ich sehe, erscheint mir höchst unübersichtlich; noch nicht mal die Kathedrale kann ich in diesem Gewirr von Dächern und Türmen entdecken.
    Aber in nicht weniger als einer Stunde könnte ich schon dort sein! Ich male mir aus, wie es sein wird: Alles wird sehr, sehr schön! Ein euphorisches Glücksgefühl breitet sich in mir aus, nimmt mich mit und trägt mich nach Santiago hinein. Dieses intensive Gefühl, zu leben und diesen schweren Weg überwunden zu haben, macht mich schwindelig. Wie gern würde ich jetzt Peter sprechen und ihm sagen, wie ungeheuer glücklich ich bin!
    Einen kurzen Moment noch verharre ich bei dem Pilgerdenkmal. Mir ist, als könnte ich fliegen, als würde ich abheben von dieser Welt. Wie von selbst folgen meine Füße den Geräuschen vor mir, dem Klick-Klack der Pilgerstöcke.
    Der Schweiß läuft mir übers Gesicht, und die Brille beschlägt. Statt des Taschentuchs ziehe ich versehentlich den Zettel meiner Herberge aus der Tasche. Verdutzt schaue ich auf das Blatt Papier und muss mich neu orientieren. Schon verlasse ich die Welt der Träume und bin wieder in der Realität.
    Ich frage mich, auf welcher Straße ich nun bin und wo ich langgehen muss. Es ist gar nicht so einfach, jemanden zu fragen; ich glaube, viele können keinen Plan lesen. Nach mehreren vergeblichen Anläufen gehe ich in ein Geschäft und zeige dort den Plan. Der Herr ist sehr freundlich und kommt sogar mit mir auf die Straße, es sei nicht mehr weit.
    Nun suche ich nach einem Wegweiser zu dieser Herberge. Aber nirgends sehe ich ein Schild. Verunsichert bleibe ich stehen und weiß nicht, wen ich hier fragen soll. Zwar ziehen Pilger an mir vorüber, in ganzen Gruppen, mit Fahnen und bunten Halstüchern. Sie scheinen vom Busbahnhof zu kommen und streben nun der Kathedrale zu, aber helfen können sie mir nicht.
    Der Fuß schmerzt wieder fürchterlich, und mittlerweile drücken auch die Träger

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