Mein Jakobsweg
Karte.
In meinem Pilgerbuch heißt es: »Am Ende des Weges legen die Pilger ihre Hände an die Säule zu Füßen des Apostels und berühren mit dem Kopf die darunter befindliche Figur des Baumeisters Mateo.« So lege auch ich meine Hand zu seinen Füßen, verneige mich vor ihm und berühre mit meiner Stirn den Kopf des Baumeisters; dreimal, so wie es die spanischen Pilger vor mir getan haben.
Ohnehin begegne ich an diesem Wochenende sehr vielen spanischen Familien und Gruppen mit Kindern und Jugendlichen. Später folge ich einer Reihe von Pilgern zu der Büste des Apostels. Mit einem Herzen voller Dankbarkeit für das Gelingen dieser Pilgerreise lege ich peregrina meine Arme um seine Schultern und streichle seine Wange. Es heißt, mit dieser Geste melde man dem heiligen Apostel seine Ankunft.
Um die Kathedrale und den großen Platz, die Praza do Obradoiro, sind die kleinen Gassen der Altstadt mit ihren vielen Geschäften und Restaurants. Dort gibt es keinerlei Autoverkehr, was sehr angenehm ist. Im Schatten von Arkaden schaue ich mir die Auslagen an. Neben den für diese Pilgerstadt typischen Andenken gibt es auch sehr viele Geschäfte für richtiggehende Kunstwerke und Luxusartikel. Es ist faszinierend, was ich dort an Schönem und Edlem und Kunstvollem sehe.
Der Zufall führt mich in ein gemütliches Café. Mit lebensgroßen Jugendstilskulpturen und Ornamenten sieht es ganz bezaubernd aus. Müde von dem langen Tag, sinke ich in einen weich gepolsterten Sessel und bestelle mir eine Tortilla und ein Bier. Ich wundere mich selbst, denn normalerweise trinke ich kein Bier. Jedenfalls schmeckt alles vorzüglich. Satt und schläfrig versinke ich allmählich immer tiefer in das Polster.
Doch kurz vor 18 Uhr bin ich wieder in der Kathedrale und erhasche einen noch günstigeren Blick auf den Altar als am Mittag. Die Segnung der Pilger ist das Thema auch dieser Messe. Wieder verliest der Priester eine große Anzahl von Städten und Ländern. Ich glaube, inzwischen sind alle Länder Südamerikas dabei. Auch gibt es wohl kaum noch ein europäisches Land, das heute nicht genannt wurde. Und ich peregrina darf Teil dieser Gemeinschaft sein! Stolz und Freude vermischen sich in meiner Seele, in tiefster Glückseligkeit umarme ich meinen Nächsten. Dieser Tag ist wahrhaftig ein Freudentag.
Zur Krönung des feierlichen Gottesdienstes wird der Weihrauchkessel geschwenkt, der berühmte »Botafumeiro«. Kräftige Männer haben das 54 Kilo schwere Gefäß an ein dickes Seil gehängt. Inmitten von Weihrauchschwaden schwingen sie im Gleichklang der Orgel den Botafumeiro nun höher und höher, begleitet von vielen Ahs und Ohs. Bis hinauf in die Kuppel schwingt der riesige Kessel, um dann wieder langsamer zu werden. Verzückt klatschen die Gläubigen in die Hände. Diesem Schauspiel muss man einfach aus nächster Nähe zugesehen haben! Ich werde ihn noch ein paarmal schwingen sehen, diesen Pott, wie ich ihn liebevollrespektlos nenne. Immer wieder aufs Neue bin ich fasziniert. Später erfahre ich, dass ein Gläubiger 300 Euro bezahlt hat, sonst würde der Botafumeiro während der Messe gar nicht in Bewegung gesetzt.
Der Bus bringt mich in die Herberge zurück. Als Erstes muss ich duschen, meine Wäsche versorgen - und Tagebuch schreiben. Das ist wichtig: Die Emotionen sind noch ganz frisch.
Später am Abend ist auch der Würzburger da. Wir waren schon öfter in den gleichen Herbergen und begrüßen uns fröhlich. Die drei Pilgerinnen aus Österreich schlafen auch hier. Resi fuhr im selben Auto wie ich hoch nach O Cebreiro. Zwar haben wir alle das Gleiche erlebt, aber eben doch immer in unterschiedlicher Wahrnehmung. Gerade das macht den Reiz unserer Erinnerungen aus, über die wir uns noch lange austauschen.
Santiago de Compostela
Sehnsucht ist der Beweis,
dass der Geist
eine höhere Seligkeit sucht.
Bettina von Arnim
M ein Sonntag in Santiago de Compostela beginnt mit einem gemütlichen Frühstück im Café nebenan. Von dort gehe ich weiter ins Zentrum und auch gleich in die Kathedrale. Ein günstiger Zeitpunkt: Sie ist noch recht leer.
So allein in der Kirche zu sein ist ein ganz besonders intensiver Augenblick. In aller Stille möchte ich gern wieder ein Licht für Michael anzünden. Vor der kleinen Kapelle mit der Mutter Maria und dem Jesuskind werfe ich Münzen ein; drei kleine Lichter leuchten auf. Über das Licht hinweg träume ich mich zu ihm und sage, wie sehr ich ihn liebe und wie schön es gewesen wäre,
Weitere Kostenlose Bücher