Mein Jakobsweg
auch zu zweit. Das ist sicherlich nicht gestattet, aber immer noch besser als gar kein Bett.
Von Ribadiso nach O Pino
Sieh nach den Sternen!
Gib acht auf die Gassen!
Wilhelm Raabe
F rüh um fünf raffe ich meine Sachen zusammen und verlasse den Schlafraum. Unter dem Vordach mit einer sparsamen Notbeleuchtung treffe ich auf einen weiteren Frühaufsteher. Die Straße ist noch kaum zu erkennen. Über den Bergen hängen tief die Wolken. Doch die ersten vier Kilometer bis Arzúa geht es sowieso nur geradeaus, die Pfeile als Orientierung sind nicht ganz so wichtig.
Dicke Nebelschwaden hüllen mich ein. Dumpf, als wären sie in weiter Ferne, höre ich die Hähne des Dorfes krähen, manchmal auch Hundegebell. Oben an der breiten Straße setze ich mich erst auf eine Bank bei der Bushaltestelle. Wie ferne Schatten erheben sich die Berge aus dem Nebel. Über den Hügeln zeigt sich schon die erste zarte Helligkeit. Ich nehme meinen Fotoapparat und wünsche mir, den schönsten Moment dieses Sonnenaufgangs festhalten zu können. Und dann ist es so weit, die aufgehende Sonne schiebt die Wolken beiseite.
Begeistert von diesem Naturschauspiel, das wir im Alltag viel zu selten erleben, achte ich wohl nicht richtig auf den Weg. Prompt stolpere ich auf dem Bürgersteig und stoße ausgerechnet mit dem linken Fuß an. Der Schmerz zieht von der Ferse hinauf bis in den Oberschenkel. Erst als der Schmerz etwas nachlässt, wage ich mit dem Fuß aufzutreten. Über was ich da wohl gestolpert bin, frage ich mich und suche den Boden ab. Es war ein Metallrohr, das etwa drei Zentimeter herausschaut. Als sei es dort abgesägt worden.
Hinkend gehe ich meinen Weg und hoffe auf eine Bushaltestelle. Manchmal frage ich auch danach. Ich müsse nur weitergehen, wird mir gesagt. Ich gehe weiter, aber es kommt kein Halteschild, dabei ist Arzúa doch ein richtiges Straßendorf. Wenn der Bus irgendwo halten müsste, dann doch hier! Schon völlig entmutigt, frage ich eine Frau, und sie sagt: Aqui. Also hier. Zweifelnd sehe ich mich um, sehe aber kein Schild. Sí, sí, aqui, bestätigt die Frau noch einmal.
Ich bedanke mich höflich und gehe erst mal in die Bar. Von der Kellnerin erfahre ich, dass der letzte Bus vor zehn Minuten gefahren ist. Mit meinem Kaffee und einem Donut setze mich zu einer spanischen Pilgerin. Sie ist sehr erkältet, und wir bedauern uns gegenseitig. Ihre Familie ist weitergegangen, sagt sie. Sie wollte auch mit diesem Bus fahren. Tja, aber jetzt ist er eben schon weg.
Später beim Verlassen der Bar erkundigt sie sich nach dem Taxistand. Ehe ich hier noch lange rumsitze, gehe ich lieber gleich mit ihr. Sie will bis Santa Irene und handelt den Preis aus. Bueno, sage ich. Dann fahre ich eben auch bis Santa Irene.
Die 15 Kilometer sind schnell geschafft. Den Fahrpreis teilen wir uns. Am Ortsausgang wäre eine Herberge, aber sie öffnet erst in drei Stunden. Auf der Bank vor dem Haus ziehe ich Schuhe und Strümpfe aus und begutachte meinen Fuß. Die Stelle über der Ferse schmerzt sehr, ich kann sie kaum berühren. Aber den Fuß selbst kann ich sehr gut bewegen, und die Schwellung ist seit gestern nicht schlimmer geworden. Da habe ich noch mal Glück gehabt! Wieder reibe ich den Fuß mit der Salbe ein und lege einen elastischen Verband darüber.
Bis zur nächsten Herberge, steht in meinem Buch, sind es nur fünf Kilometer. Die werde ich wohl schaffen. Gleich nach dem Ortsende gehe ich auf bequemen Wegen durch einen Eukalyptuswald. Hohe gerade Stämme mit nur spärlichem Geäst ragen in den Himmel, fast wie Strommasten. Wo Eukalyptus steht, wächst kein anderes Gehölz mehr. Weil der Lebensraum fehlt, kann in dieser hässlichen Monokultur auch sonst kein Leben gedeihen: Vögel und anderes Getier fehlen hier völlig. Der Wald ist stumm, als ginge ich durch einen Geisterwald. Die Stille um mich herum ist geradezu unwirklich, ja gespenstisch und beunruhigend, wenn auch nicht in dem Sinne, dass ich Angst um mich hätte; auf dem Camino habe ich zu keiner Sekunde und nirgendwo Angst gehabt. Meine Beklemmung kommt vielmehr von der Gewissheit, dass diese Eukalyptuswälder eine Sünde an der Natur sind. Über viele Jahre wird hier nichts anderes mehr wachsen können, selbst wenn alle Bäume abgeholzt würden.
Das idyllische Dorf, in das ich als Nächstes komme, lässt die Welt wieder fröhlicher erscheinen. Kostbare Rosen blühen in allen Gärten und verströmen ihren betörenden Duft. In üppiger Blütenpracht ranken sie
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