Mein Jakobsweg
sich an den Mauern empor; einen wunderbaren kurzen Augenblick bleibe ich in dem Duft eines Rosenstrauchs stehen. Bevor ich weitergehe, breche ich eine rosarote Blüte ab und lege sie zwischen Tempotaschentücher, damit sie trocknen kann. Der Eigentümer möge mir verzeihen - ich konnte einfach nicht widerstehen!
Die Herberge in O Pino ist noch geschlossen, aber einige Pilger warten schon. Erschöpft lasse ich mich nieder, ziehe den Stiefel vom lädierten Fuß. Mit der Zeit wird die Schlange länger und länger, aber ich habe Glück und erhalte ein Bett unter der Dachschräge. Es liegt also niemand über mir. Vom nächsten Bett trennt mich sogar noch ein Schrank.
Das Ritual der Ankunft in einer Herberge ist immer gleich und endet nach dem Duschen mit der Pflege der Füße. Mein Bettnachbar, ein junger Spanier, hat an einem Fuß eine riesige Blase, die beinahe die ganze Fußsohle einnimmt. Ich sehe mir seine immer noch weißen Turnschuhe an und frage: Nuevo?
Sí, nuevo, antwortet er.
Wieder einmal bin ich froh, dass ich meine Pilgerschuhe vor dem Aufbruch gründlich eingetragen habe. Auf einer so langen Strecke können sich neue Schuhe als wahre Folter für den Fuß entpuppen.
Schnell sind die 120 Betten belegt. Wo ich auch hinschaue, überall wird telefoniert. Vor allem die spanischen Pilger wollen von hier aus Zimmer in Santiago anmieten. Aber sie scheinen nicht sehr erfolgreich zu sein, und das Telefonbuch wird von allen heiß begehrt.
Norbert ist inzwischen auch eingetroffen. Eine ganze Weile sitzen wir schweigend auf einer Bank in der Sonne. Ich bin etwas besorgt, wenn ich an meinen schmerzenden Fuß denke und daran, dass ich morgen vielleicht auch keine Unterkunft finde. Ich zeige Norbert den Prospekt einer privaten Herberge und frage ihn, was er davon hält.
Klar kannste dahin, sagt er in seiner lakonischen Art, ich gehe immer in die andere und habe noch immer ein Bett gekriegt.
Aber es sind so viele Pilger unterwegs, und die Spanier telefonieren sich durch alle Pensionen in Santiago.
Ach, winkt Norbert ab, das Telefonieren ist doch zwecklos. Glaubst du, dass irgend jemand ein Bett für dich freihält, nur weil du anrufst? Das tun die im Leben nicht.
Ich mag seine Art zu sprechen. Sein Gleichmut beruhigt und ermuntert mich. Er erinnert mich an eine Mitpatientin, mit der ich viele Wochen ein Krankenzimmer geteilt hatte.
Über Jahre hinweg wünschte ich mir, eines Tages als peregrina über den Monte del Gozo, den Berg der Freude, nach Santiago de Compostela zu wandern. In so vielen schweren Stunden hatte dieser Traum mich aufrecht gehalten. Jetzt endlich bin ich so kurz davor. Nur noch 20 Kilometer, ein einziger Pilgertag. Wenn ich den Fuß noch mal einreibe und bandagiere und morgen früh auch, dann muss er einfach durchhalten.
Trotz meiner geringen Kraft bin ich doch ganz gut durchgekommen, wäre nicht dieser Insektenbiss gewesen. Die Folgen spüre ich bei jedem Schritt. Auch jetzt wieder, auf dem Weg zur Telefonzelle. Schon einmal war ich diese lärmende Hauptstraße gegangen, aber Peter ist beim zweiten Versuch noch immer nicht zu Hause. Enttäuscht nehme ich die Münzen und gehe zurück. Mit dem Herzen sind wir immer beieinander. Aber gern würde ich ihm erzählen, wie weit ich inzwischen gekommen bin.
Für den Abend habe ich ein richtiges Festmahl besorgt. Mit köstlicher Salami, Pastete und verschiedenem Käse, Obst und Rotwein. Alles ganz frisch aus dem Supermarkt gleich neben der Herberge. Auf einer Bank breite ich all meine Schätze aus und kann so richtig aus dem Vollen schöpfen. Noch ehe die anderen von ihrem Pilger-Menü zurück sind, lege ich mich ins Bett und schlafe auch sofort ein.
Von O Pino nach Santiago de Compostela
Hoffnung ist nicht die Überzeugung,
dass etwas gut ausgeht,
sondern die Gewissheit,
dass etwas Sinn hat,
egal wie es ausgeht.
Vaclav Havel
M itten in der Nacht werde ich wach. Die Vorfreude lässt mein Herz höher schlagen. Mir geht so vieles durch den Kopf, dass ich nicht mehr einschlafen kann, sosehr ich mich auch bemühe. Also stehe ich einfach auf. Eine halbe Stunde später tappe ich schon im Dunkeln die Straße entlang. Es ist noch nicht einmal vier Uhr.
Die Stille, die über allem ruht, ist einfach überwältigend. Die ersten fünf Kilometer bis Amenal gehe ich auf der Landstraße. Hie und da geht ein Licht in einem Haus an. Irgendwo bellt ein Hund.
Kaum spürbar wird es heller. Wie immer am frühen Morgen kräht als Erstes der Hahn.
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