Mein Jakobsweg
Außerdem bin ich als Pilgerin nun mal mit wenig Geld unterwegs - und in meinem Rucksack könnte ich so ein Bild sowieso nicht verstauen.
Der frühe Nachmittag ist wohl die schönste Zeit des Tages: Die Menschen halten Siesta, auf den Plätzen und Gassen wird es still. Ohne ein wirkliches Ziel schlendere ich nun durch die Altstadt, später bin ich wieder in meinem Café. Es ist gut besucht. Zunächst ungewollt, höre ich die Unterhaltung an meinem Nebentisch. Es wird Deutsch gesprochen. Ein junger Mann schildert einer Dame die Tradition des Pilgerns.
Gerade sprechen sie über den Pilgerpass. Die Dame wüsste gern, wie der aussieht und welchem Zweck er dient. Da mische ich mich ein, einfach ganz spontan und ungefragt, und reiche ihr meinen Pilgerpass.
Sehen Sie, sage ich zu ihr, so sieht er aus. Und jeder Stempel ist von einer Herberge, in der ich geschlafen habe.
Sie sind allein gepilgert? Und was sind das für Herbergen? Sie zeigt ehrliches Interesse, auch an mir. Zu gern möchte sie wissen, was eine Frau meines Alters dazu bringt, durch Spanien zu pilgern.
In all meinem Überschwang, vielleicht auch gefördert durch den guten Rotwein vom Mittag, erzähle ich ihr all das, was mir auf dem Herzen liegt. Schwärme von der Landschaft und den liebenswürdigen Menschen, die mir überall begegnet sind. Berichte von der Schwierigkeit mancher Wege. Und davon, dass ich erst nach einer schweren Krankheit mir diesen Traum vom Pilgern erfüllen konnte. Morgen fahre ich bis an das Ende der Welt, nach Finisterre, schließe ich. Denn da müsse ich auch unbedingt noch hin.
Ob ich wenigstens hier in Santiago in einem Hotel wohnen würde? Die überfüllten Herbergen scheinen ihr das Ärgste zu sein.
Nein, das hätte ich zwar vorgehabt, antworte ich, aber so bezahle ich nur fünf Euro. Ein Pensionszimmer dagegen ist nicht unter 40 zu haben. Das ist mir zu teuer. Ich bin ja schließlich Pilgerin und habe auch nur begrenzt Geld mitgenommen. Außerdem sind die zwei Frauen dort sehr nett, und ich bin mit anderen Pilgern zusammen. Das ist mir auch sehr wichtig.
Dennoch, sie kann sich nicht vorstellen, freiwillig mit 50 Menschen in einem Raum zu schlafen.
Ach, das konnte ich auch nicht, versichere ich ihr. Aber das gehört zum Pilgern dazu, man gewöhnt sich mit der Zeit daran.
Ich weiß nicht ganz genau, wie es passieren kann, aber unverhofft hält die Dame einen 100-Euro-Schein in der Hand und sagt: Darf ich ihnen den anbieten?
Ich bin verlegen und auch erschrocken und erwidere: Aber ich habe nicht betteln wollen. Wenn das so ausgesehen hat, dann bitte ich um Entschuldigung.
Glauben Sie mir, wenn Sie gebettelt hätten, würde ich Ihnen nichts anbieten. Bitte nehmen Sie es. Ich möchte Ihnen so gern eine Freude machen.
Ich überlege, was ich tun soll, und bin sehr verunsichert. Schließlich aber denke ich, du bist Pilgerin und bekommst ein Almosen, das entspricht einer alten Tradition, und nehme das Geld. Aber so ganz wohl ist mir nicht.
Schon bald darauf hält vor dem Café ein Taxi. Der junge Mann begleitet die Dame nach draußen. Ich folge ihnen, um mich zu verabschieden, und sehe, sie hat Schwierigkeiten beim Gehen.
So ganz sicher bin ich mir noch immer nicht, ob es richtig war, diesen Schein anzunehmen. Ich möchte der freundlichen Dame aus der Steiermark gern noch sagen, dass ich dieses Geld mit nach Hause nehmen und für meine nächste Pilgerreise verwahren werde.
Bei der 18-Uhr-Messe ist die Kathedrale wieder sehr voll. Ich bleibe gleich im Bereich des Portals. Der wichtigste Teil der Messe ist für mich die Aufzählung der Pilger aus unserer großen, weiten Welt. Manche sind durch halb Europa gepilgert. Aus Warschau und Berlin kommend, aus Lettland und Dänemark, aus Köln, ein älteres Ehepaar ist in Stuttgart losgegangen. Auch aus Österreich und der Schweiz sind sie über die Alpen zu Fuß und durch ganz Frankreich gewandert. Schritt für Schritt, Kilometer für Kilometer, sind sie mit jedem neuen Tag Santiago de Compostela ein Stückchen näher gekommen.
Nun ist es Abend, und ich habe nur noch einen einzigen Wunsch: Auf dem kürzesten Weg zur Unterkunft, so müde bin ich. Plötzlich ruft eine Stimme hinter mir meinen Namen. Ich halte inne und denke, ich bin bestimmt nicht gemeint, und gehe weiter. Aber wieder ruft eine Frau: Elke! Schon ist sie bei mir, nimmt mich mit an einen Tisch vor einem irischen Pub.
Ehe ich mich versehe, sitze ich in einer Runde mir lieb gewordener Weggefährten. Die junge Australierin
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