Mein Jakobsweg
wenn wir diesen Weg gemeinsam hätten gehen können.
Da steht jemand neben mir und streichelt mir über den Rücken und sagt: Prima, dass du auch angekommen bist.
Ich schaue zu ihm auf und sehe ein mir unbekanntes Männergesicht. Kennen wir uns, frage ich ihn, ich kann mich nicht erinnern.
Aber ich, denn ich habe dich oft gesehen und mir immer gedacht, das schafft die nie.
Siehst du, du hast dich geirrt, ich bin doch angekommen.
Und wir lachen, wohl etwas zu laut, denn der Klang hallt wider.
Inzwischen ist der große Platz schon wieder sehr belebt. Die Reihe der wartenden Pilger, die den Apostel umarmen wollen, wird länger und länger. Dort stehen vor allem Gruppen, vielleicht Busreisende, die in ihrer knapp bemessenen Zeit hier sicherlich zwei Stunden ausharren müssen. Es kommt sogar zu einem lautstarken Streit, weil sich Pilger noch zu ihrer Gruppe stellen, nachdem sie die Zeit des Wartens offenbar anderweitig verbracht hatten. Erst mit der Siesta löst sich diese Reihe dann allmählich auf. Brittas rote Jacke leuchtet zu mir herüber, von dem Café etwas höher über der Praza do Obradoiro. Noch ehe ich quer über den Platz und die vielen Stufen hinaufgetippelt bin, ist sie fort. Schade, heute ist ihr Abreisetag. Buen Camino, Britta!
Es ist ein herrlicher Sonnentag. Ich genieße das bunte Treiben rund um die Kathedrale und begegne vielen Weggefährten. Ganz spontan und aus purer Lebenslust fallen wir uns in die Arme und beglückwünschen uns. Mit einigen hatte ich unterwegs nicht einmal besonders viel Kontakt, aber sich hier wiederzusehen, ist schon etwas ganz Besonderes. Wenn ich jetzt an diesen Augenblick zurückdenke, befand ich mich auch an diesem zweiten Tag noch immer wie in einem Traum. Ich war so glücklich, ich hätte die ganze Welt umarmen können.
Wenigstens einmal, so denke ich, könnte ich ja zu dem Pilger-Menü gehen, das in meinem Pilgerbuch beschrieben ist. Es wird zwar nicht ganz so günstig beurteilt, aber ich will es ausprobieren und gehe zum Treffpunkt beim Parador-Luxushotel. Es befindet sich gleich neben der Kathedrale in einem ehemaligen Kloster und Pilgerhospital, das der Tradition folgend noch immer kostenlos Essen an Pilger ausgibt.
Dort treffe ich Norbert. Er war schon öfters hier und kennt sich aus. Acht hungrige Pilger folgen ihm geradewegs durch den Haupteingang hinein in einen übersteigerten Luxus. Ich frage Norbert, ob wir mit unseren Stiefeln überhaupt über diesen erlesenen Teppich gehen dürfen.
Klar, wir sind doch Pilger, antwortet er und geht munter weiter. Durch einen Innenhof mit Säulengang und Brunnen, einen zweiten, ebenso schönen, und über eine Treppe gelangen wir dann in den Küchenbereich zur Essensausgabe.
Der kleine Extra-Speiseraum für uns Pilger ist recht nett eingerichtet. Alte Stiche über den Verlauf des Pilgerwegs zieren die Wände. Durch das offene Fenster sehe ich in den ehemaligen Klostergarten, wo in alten Bäumen die Vögel zwitschern.
Bis auf die komische Wurst ist das Essen sehr gut. Der Nachtisch, die Mousse au chocolat, ist einfach köstlich. Auch der Wein ist vom Feinsten - oder zumindest um Klassen besser als jeder andere, der sonst im Lauf der Reise zu einem Pilger-Menü gereicht wurde.
Die Innenhöfe haben es mir angetan. So geschützt vor der Außenwelt im Schatten der Säulen vor sich hin zu philosophieren, über Gott und die Welt, ist schon sehr angenehm. Ich bleibe noch etwas und schaue dem Wasserspiel des Brunnens zu.
Allerdings könnte dieser Innenhof ja auch Teil des Pilgerhospitals gewesen sein. Des Hospitals vielleicht, wo Mönche die Kranken und Lahmen versorgten. Meine Gedanken schweifen ab. Ganz hoch oben auf den Zinnen entdecke ich ein Möwenpaar. So weit vom Meer und mitten in der Stadt richten sie sich ihr Nest. Oder brüten sie schon?
In diesem Hotel hier befindet sich die Ausstellung eines Aquarellmalers. Er malt Landschaften und Häuser in zarten Farben. Hafenansichten mit kleinen bunten Booten, auf denen die Fischer bei ihrer Arbeit zu sehen sind. Und die Farben und Reflexe des Meeres malt er in traumhafter Klarheit. Geruhsam betrachte ich Bild um Bild.
Das Wasser scheint die Leidenschaft dieses Künstlers zu sein. Auch beim Betrachten von Bildern regennasser Gassen, sicher in der Altstadt Santiagos, mit lauter Menschen unter Regenschirmen, bilde ich mir ein, es würde draußen regnen. Insgeheim wünsche ich mir, eines seiner Bilder zu kaufen. Doch ich wüsste nicht einmal, welches, so schön sind sie alle.
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