Mein Jakobsweg
schwierigen und sich in die Länge ziehenden Anstieg.
In Monreal angekommen, mache ich mich auf den Weg zur Herberge, um meinen Rucksack abzustellen. Damit habe ich auch gleich den ganzen Ort gesehen.
Monreal, an einem Hügel gelegen, ist ein schmucker kleiner Weinort. Treppen und Gassen verbinden Straßen und Plätze. Auf einem Spielplatz spielen Kinder in rosaroten und hellblauen Kittelchen: Schultracht ist in Spanien noch immer Pflicht.
Die kleine Kirche hat in ihrem Turm drei Glocken, aber keine Uhr. Sie ist sogar offen, die erste seit Jaca. Oben im Turm höre ich Stimmen und wage mich ganz langsam die Treppen hinauf.
Einmal von einem Turm auf den Camino herabsehen, das wünsche ich mir schon lange. Hier könnte es mir gelingen!
Die tragenden Bretter zwischen den Treppenabschnitten sind sehr morsch; nur durch darübergelegte lose Bretter werden sie halbwegs tragfähig. Langsam schiebe ich die Füße vorwärts bis zur nächsten Treppe. Das geht über zwei Etagen ganz gut. Aber dann treffe ich auf die Männer, die, so wie es aussieht, dabei sind, diese Böden zu reparieren.
¡Atención , señora! Völlig entgeistert schauen sie mich an, einer fasst mich bei der Hand. Schade, so kurz vor dem Ziel, aber ich darf nicht weiter. Mit größter Vorsicht bringt mich der Handwerker die Treppen hinunter, nicht ohne andauernd atención zu sagen, schiebt mich nach draußen und verschließt die Kirche.
Die Herberge ist schon offen und keinesfalls schlechter als das Hotel. Eine junge Frau, sie hat wohl gerade hier sauber gemacht und ist im Begriff zu gehen, weist auf das Buch, in das ich mich eintragen soll. Dann bin ich allein und Herrscherin über dieses Haus. Anfangs genieße ich die Ruhe, setze mich in die Sonne und bade meine Füße mit einem Extrakt aus Latschenkiefern. Wo kann man das sonst, wenn doch meist die Pilger schon vor den Waschräumen Schlange stehen?
Das linke Bein verträgt wohl die vielen Kilometer nicht ganz so gut und ist auch jetzt noch leicht geschwollen. Gut, dass ich gefahren bin: Ich muss mit meinen Kräften haushalten. Mittags ruhe ich etwas bei geöffnetem Fenster. Der üppige Duft von Rosen und gereiftem Getreide weht herein.
Wie ein helles Band zieht sich der Camino an einem Berg entlang, und so sehe ich Paco des Weges kommen. Paco ist ein schweigsamer junger Mann mit sehr, sehr viel Übergewicht. In Arrés habe ich mit ihm das Gemüse geputzt. Um ihm zu sagen, er könne in dieser Herberge rasten, gehe ich ihm entgegen.
Sein T-Shirt hängt schon lockerer. Ich lobe ihn. Bis Santiago werde er sicher so schmal sein; ich deute mit meinen Händen etwa 30 bis 40 Zentimeter an. Froh, aus den verschwitzten Kleidern zu kommen, duscht er, nimmt einen kleinen Imbiss und freut sich über den Tee, den ich extra gekocht habe. Übernachten will er erst in Tiebas. Das sind noch zwölf Kilometer. Buen Camino, Paco! Ich wünschte, ich wäre auch wieder unterwegs.
Inzwischen habe ich das Gästebuch durchgelesen und mich in die Liste der Pilger eingetragen. Hier ist auch die Frage zu beantworten, ob wir aus religiösen, kulturellen oder sportlichen Gründen pilgern. De todo un poco, schreibe ich hinein, von jedem ein wenig. Da ich ja genug Zeit habe, mache ich gleich noch den Übertrag zur nächsten Seite.
Gestern hat Beate hier übernachtet; es freut mich, dass sie immer noch unterwegs ist. Am Abend waren sie alle wieder da, die spanischen Freunde, und auch Claude hatte es bis hierher geschafft. Claude ist mehr als 70 Jahre alt! Resi übernachtet im Hotel. Sie ist total erschöpft - diese Hitze und der anstrengende Weg -, ob sie morgen weiterkann, weiß sie noch nicht. Buen Camino, Resi! Vielleicht begegnen wir uns in Santiago.
Mitten in der Nacht kommen noch Pilger, die eine schreckliche Unruhe verbreiten. Alle Ermahnungen helfen nichts. Sie sprechen eine Sprache, die wir nicht kennen, und tun, als ob sie uns nicht verstünden.
Von Monreal nach Obanos
Was ist ein Leben voller Mühen,
wenn wir die Zeit nicht finden,
staunend stillzustehen?
Alexander von Humboldt
I m Dunkel der Frühe suche ich meinen Weg durch den Ort, um recht bald auf dem Pfad an einem Hang weiterzugehen. Ich bin schon schmalere gegangen in den letzten Tagen, doch dieser ist sehr holprig und zwingt mich, andauernd bergauf und bergab zu gehen. Unter mir, in der Mitte des Tales, fließt direkt neben der Bundesstraße Wasser in einem einbetonierten Kanal, welches als Teil eines grandiosen Bewässerungssystems bis in
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