Mein Jakobsweg
den Süden Spaniens gebracht werden soll.
Hier oben aber ist es still und ruhig, nur selten kommt ein Pilger vorbei. Renaia und Maria gehen eine Weile mit mir. Sie wollen heute Nacht bei der Kirche Santa Maria de Eunate bleiben, dort sei eine albergue.
Gern würde ich auch da sein, antworte ich auf ihre Einladung und freue mich schon auf dieses besondere Ereignis. Später begegnet mir noch eine Pilgerin, die zurückgeht. Von Luxemburg bis Santiago de Compostela war sie zu Fuß unterwegs, und jetzt ist sie auf dem Heimweg. Den ganzen langen Weg, wieder per pie!
Barbarisch endet mein Pfad aus Stille und Einsamkeit plötzlich mitten im Höllenlärm riesiger Maschinen und Lastkraftwagen: Der Weg quert ein Zementwerk. Winzig klein komme ich mir vor. Wie eine Ameise, die sich durch heißen Sand wühlen muss.
In Tiebas habe ich die Hälfte der Tagesstrecke hinter mir, bin aber zunächst etwas orientierungslos. In der Hitze des Mittags und erschöpft vom Gehen durch die bergige Landschaft suche ich die Herberge, um mich etwas auszuruhen. Ich muss ja nicht dort bleiben.
In dem Lokal, wo ich nach einem Taxi telefonieren will, treffe ich den Laptopmann und einen etwas jüngeren Pilger. Ich meine ihn zu kennen, wahrscheinlich aus Jaca. Mich überrascht ihre reinliche Kleidung, die weder verschwitzt noch mit dem Staub des Zementwerks behaftet ist. Vor Verblüffung rutscht mir die spitze Frage heraus, ob ein Hubschrauber sie hier abgesetzt habe.
Nein, wir haben hier übernachtet, antwortet der Jüngere.
Hätte ich mir auch denken können! Nun ja, bis bald, erwidere ich etwas verlegen und trete ins Freie, um auf mein Taxi zu warten.
In Enériz lasse ich den Wagen halten. Die Sonne steht nicht mehr ganz so hoch, und über die letzten Kilometer möchte ich mich gern wieder per pie der Santa Maria de Eunate nähern. Voller Ungeduld suche ich den Horizont ab und erwarte ein erstes Zeichen, bis dann endlich die Spitze des Turms sichtbar wird. Eigentlich ist es gar kein richtiger Turm, sondern nur ein schmaler Aufbau mit eben dieser Spitze und zwei schmalen Bogen, in denen kleinere Glocken hängen. Als Nächstes sehe ich ein Dach aus ausgeblichenen Ziegeln, das wie ein großer runder Deckel auf der Kirche liegt. Ich weiß, dass das Gebäude achteckig ist, aber aus der Feme scheint es mir rund zu sein.
Santa Maria de Eunate
Außer mir ist niemand bei der Kirche Eunate. Der Name ist baskisch und bedeutet »hundert Pforten«. Ob es wirklich hundert sind, weiß ich nicht, aber durch eine davon trete ich in den Hof ein. Ich lege meinen Rucksack ab und gehe auf dem inneren Gang um die Kapelle herum. Einmal und ein zweites Mal. Nun gehe ich um den äußeren Bogengang, der sich ebenfalls achteckig, aber dennoch kreisrund um diese Kapelle schließt. Einmal und noch einmal. Dann setze ich mich nieder auf diese blanken Steine. Sonne und Regen und Abermillionen Schritte haben sie poliert und ihnen einen tiefen Glanz gegeben.
Eine Zeit lang sitze ich nur so da, ehe ich mich dem Eingang zur Kirche nähere. Nun betrete ich durch die schmale Tür bedächtig das Innere und befinde mich in einem Raum voller Harmonie, in dem die zu einem Kunstwerk zusammengefügten Steine nur für sich selbst sprechen. Durch schmale Fenster fallen ein paar Sonnenstrahlen. Vor dem Altar, einer kunstfertig ausgemauerten Wölbung aus gleichem Gestein, sehe ich Claude. Leicht nach vorn gebeugt, mit dem Rücken zu mir, befindet er sich in tiefer Andacht. Still setze ich mich auf eine Bank. Auch diese ist eher schmucklos, so bescheiden wie das ganze Kirchlein. Ohne jeden Tand, der den Blick auf weltliche Äußerlichkeiten lenken würde.
Inzwischen sind noch weitere Pilger gekommen, aber nicht meine spanischen Freundinnen. Ich gehe zum einzigen Haus hinüber, in dem ich die private Herberge vermute. Vor dem Eingang steht ein Tisch mit aufgestapelten Stühlen. Ich sehe ein Stempelkissen, aber keinen Stempel und insbesondere keinen Hinweis auf eine albergue. Ganz im Gegenteil: Auf einem Schild lese ich, man möge die Privatsphäre achten. Ich gehe um das Haus herum, um möglicherweise einen Blick durch die Fenster zu erhaschen. Aber innen bleibt es still. So gehe ich weiter und habe von der Eunate noch nicht mal einen Stempel in meinem Pilgerpass.
Irgendetwas muss ich übersehen haben. Dennoch gehe ich weiter den kleinen Hügel hinauf, auf dem eine Bank zur Aussicht steht. Dort setze ich mich nieder und schaue auf diese kleine Kapelle, die in der Welt
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