Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
erinnert – nichts geht verloren: das gute nicht, das Schlechte nicht
Die letzte der zu erörternden Rhythmusstörungen ist von besonderer Art: Sie ist diejenige, die lange Zeit in der medizinischen Psychotherapie als die wichtigste galt.
Hierbei erinnert sich der Körper an ein vergangenes Trauma. Ein Trauma ist eine schwere körperliche oder psychische Verletzung, die in der traumatischen Situation nicht mit Gegenwehr oder Flucht beantwortet werden kann. Das wäre bzw. ist die natürliche Reaktion des Organismus auf Stress, für den er sich innerlich spontan rüstet: kämpfen oder fliehen. Ein körperliches Trauma z.B. bei einem Unfall hinterlässt tiefe Spuren im (Körper-)Gedächtnis – der betroffene Mensch ist diesem Ereignis hilflos ausgeliefert, kann sich selbst nicht helfen.
Eine Medizinstudentin berichtete darüber sehr eindrucksvoll. Sie hatte auf einer Urlaubsreise einen schrecklichen Unfall, den sie wie durch ein Wunder überlebte. Ein Lastwagen war auf der Autobahn zum Überholen nach links ausgeschert, ohne zu bemerken, dass sie bereits neben ihm fuhr. Das Auto der jungen Frau wurde völlig zermalmt, sie selbst hatte lebensgefährliche Verletzungen und Knochenbrüche, die sie ein ganzes Jahr in verschiedenen Krankenhäusern festhielten. Als ich sie traf, war ihr äußerlich davon überhaupt nichts mehr anzusehen. Das Einzige, was zurückgeblieben war: eine panische Angst vor dem Autofahren auf der Autobahn. Aber auch, wenn sie nur daran dachte, wenn ihr der Unfall unwillkürlich in den Sinn kam, reagierte ihr Körper mit der gesamten Panikreaktion wie in dem Moment, als der Lastwagen ausscherte und auf sie zukam. Von diesem Moment an stand sie unter Schock und erinnerte sich an nichts mehr. Aber die Todesangst, die spontan alle Energien in ihrem Körper mobilisiert hatte, überfiel sie unvermittelt auch dann, wenn sie z.B. an ihrem Schreibtisch saß und ihr Verstand die Situation als absolut sicher erkannte (aus Seemann 2007).
So dramatisch muss ein Trauma nicht sein, um sich in der Körpererinnerung zu verankern. Es gibt Situationen, in denen die Seele ein Trauma erlebt, das sie im Körper aufbewahrt – während der Mensch dabei mit seiner bewussten Aufmerksamkeit völlig absorbiert ist und vielleicht nicht gleich merkt, wie ihm geschieht. Von Soldaten hören wir das – neuerdings auch von deutschen Soldaten in Afghanistan –, die erst nach ihrer Rückkehr in »sichere« Gegenden bemerken, wie sehr sie von ihren Erlebnissen der Angst und Bedrohung traumatisiert worden sind. Sie entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung – und wenn sie merken, dass die vergangenen Schrecknisse sie immer wieder heimsuchen, sie nicht schlafen und ihre normalen Tätigkeiten ungestört ausführen lassen, dann sollten sie sofort anfangen, darüber zu sprechen – vielleicht mit Menschen, die Ähnliches erlebt haben – und sich einen fachlich gut geschulten Therapeuten zu suchen. Dieser Rat gilt für alle, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Diese Störung kann auch noch spät nach der traumatisierenden Erfahrung zum Vorschein kommen – oft schlummert sie lange Zeit in den Tiefen der Seele, wohin sie eine jedem Menschen eigene Schutzvorrichtung, die man Verdrängung nennt, verschoben hat. Wenn später erneut eine Situation von Ohnmacht und Hilflosigkeit auftritt, kann sie hervorkommen – dazu zwingen, ins Bewusstsein zu treten, d. h. »aufdecken« sollte man sie nicht.
Die Machtlosigkeit als besonderes Kennzeichen der Trauma-Erfahrung ist in der Kindheit, in der frühen Kindheit zumal, bestimmend. Gewalt- und Missbrauchssituationen in der Kindheit sind von besonders tückischer Art, denn das Kind ist kognitiv und wegen seiner Abhängigkeit und seines Vertrauens in die Person, die ihm das antut, nicht in der Lage, sich zu entziehen – auch wenn ihm dabei nicht wohl ist, wenn es merkt: da ist etwas nicht in Ordnung. Es kann sich nicht wehren, traut sich nicht zu schreien oder wegzulaufen, ist unsicher, ob es »die Strafe« nicht vielleicht doch verdient hat und so fort. Wenn dann später eine Situation der ursprünglichen Erfahrung ähnelt, sei es auch nur in einem kleinen Bestandteil, einer Farbe, einem Geruch, einer Anmutung, dann reagiert der Körper wieder genau so – mit der gleichen Angst, dem gleichen Schmerz, den gleichen inneren Bildern und der gleichen körperlichen Vehemenz. Man nennt solche Symptome »flash backs« – ihnen sind die Betroffenen wiederum hilflos
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