Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
ausgeliefert. Vom Organismus aus gesehen eine intelligente und nützliche Reaktion. Er sagt: Hüte dich, lauf weg, so etwas darf uns nie wieder passieren!
Da gilt es, dem Körper zu versichern, dass ihm derlei niemals mehr widerfahren wird, weil er jetzt einen mächtigen Beschützer hat, der aufpasst, der rechtzeitig merkt, wenn Gefahr droht, der weiß, wie man ihr begegnet – der jetzt erwachsene Mensch. Er ist es, der ganz klarstellen muss, dass Unrecht geschehen ist, der den Körper tröstet für das Erlittene, der ihm – vor allem anderen! – Respekt und sogar Bewunderung zollt dafür, dass er nicht aufgegeben hat und dennoch herangewachsen ist, dass er mit dieser Last auf der Seele überlebt hat. Manchmal braucht jemand dafür Unterstützung durch einen Therapeuten – die eigentliche Ermutigung des eigenen Körpers, der immer wieder voller Angst zur traumatischen Situation zurückkehrt, muss vom Betroffenen selbst kommen. Die beiden leben schließlich eng zusammen. Und da gilt es herauszufinden, wie das gute Leben zukünftig aussehen sollte, nachdem es doch früher oft so verdüstert und gefährdet war.
Wenn man mit einem traumatisierten Kind oder mittlerweile erwachsenen Menschen beharrlich und ermutigend in die Zukunft blickt, dann trauen sich mit der Zeit Wünsche und Sehnsuchtsbilder hervorzukommen, zuerst zaghaft und dann mit großer Macht. Denn jeder Mensch trägt in sich von Anfang an Bilder von einem guten Leben – die, auch wenn sie sich, aufgrund realer Erfahrungen, in den hintersten Winkel der Seele zurückgezogen haben, wieder hervorkommen, wenn die Zeit sich als günstig erweist (siehe auch Seemann 2008).
Eine andere, vielleicht noch schlimmere Reaktion des Organismus kennt man als Folge emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit: den Wiederholungszwang. Wenn wir von kindlicher Traumatisierung sprechen, haben wir früher selten daran gedacht, dass manche Kinder in einer Atmosphäre von chronischem Desinteresse und emotionaler Kälte aufwachsen müssen. Ihr Organismus erkennt diese Lebensweise als »normal« – er kennt nichts anderes – und wiederholt sie immer wieder, wenngleich auch im Inneren dieser Kinder das Bewusstsein aufkeimt, dass da etwas nicht in Ordnung ist, dass etwas Wichtiges – die Liebe – gefehlt hat und weiterhin fehlt. Daraus entstehen Störungen der Selbstfürsorge – Magersucht, Selbstverletzungen, Delinquenz, bei der man sich erwischen lässt, usw. und gleichzeitig die Sehnsucht, es möge in Zukunft anders werden. Die oben beschriebene Kindheit von Stephanie mit ihrer gefühlsblinden und unempathischen Mutter bildet eine solche Entwicklung ab (siehe S. 48f.).
Bei all diesen Störungen wendet die Zeit sich spontan, also unwillkürlich, in die Vergangenheit zurück, bleibt dort hängen und wiedererlebt im Hier und Jetzt genau das Gleiche wie damals. Es ist, als würde die Zeit immer wieder in elliptischen Schleifen in die Kindheit zurückkehren und sich weigern, in die Zukunft voranzuschreiten. Gleichzeitig sind diese Menschen auf der Suche nach dem, was ihnen fehlt, aber, weil sie es nie erlebt haben, wissen sie nicht genau, was es ist, und vergreifen sich immer wieder bei ihrer Wahl – in der Liebe, im Beruf, im Urlaubsort, bei den Freunden. Sie wissen auch nicht, wie es geht, gut zu leben.
Sehr oft aber sieht man, dass sie anderen, besonders Kindern und Tieren, gegenüber durchaus aufmerksam, fürsorglich, wohlwollend und liebevoll sein können. Daraus lässt sich ein Bild der Selbst-Fürsorge gewinnen. Für sie müsste man im christlichen Gebot die Reihenfolge ändern: Liebe dich selbst, so wie du deine Nächsten liebst.
Auch an das Gute erinnert sich der Körper – man könnte auch sagen: Das alte Krokodilshirn erinnert sich daran. Im Leben eines jeden traumatisierten Menschen lassen sich Erlebnisse und vor allem Menschen finden, die geholfen haben, Schutzorte und Schutzengel. Und wenn sie seither verloren gegangen sind und wenn sie schon gestorben sind, so lohnt es sich doch, sie wieder in Erinnerung zu rufen und sie erneut um Schutz und Beistand zu bitten. Die Liebe bleibt ebenso aufbewahrt wie der Schmerz, und sich an das Gute zu erinnern, tröstet und ermutigt. Und falls es wirklich in der Vergangenheit nichts dergleichen zu holen gibt, dann müssen die Entwürfe für die Zukunft von großem Gewicht sein, damit sie die Vergangenheit überschreiben und die Seele versichern, dass es sich lohnt weiterzuleben.
Abschließend soll eine etwas skurril
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