Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
anmutende Zurückwendung des Organismus in sehr frühe Zeiten erwähnt werden – das Auftauchen archaischer Relikte in großer Not (David A. Jonas). Dies sind alte Reflexe, die weit in unsere phylogenetische Vergangenheit zurückreichen und immer noch in unserem Reptilienhirn gespeichert sind. Auch hier handelt es sich um eine Form der Körpererinnerung. Hierzu gehört zum Beispiel der Totstellreflex, der einem gejagten Kaninchen das Leben retten kann – es duckt sich weg und stellt jegliche Bewegung im Körper ab. Tritt der Totstellreflex beim Menschen auf, wenn der sich zum Beispiel massiv bedroht fühlt, so ist das nicht zweckmäßig, sondern kann, im schlimmsten Fall, zum Herzstillstand führen.
Auch der Abtauchreflex, den Enten anwenden, wenn von oben der Raubvogel herabstürzt, gehört in diese Kategorie. Da wir in unserer Ontogenese frühe phylogenetische Entwicklungsstadien durchlaufen, haben wir viele alte Notfallprogramme noch in unseren »alten« Hirnarealen aufbewahrt, und so kommt es leider vor, dass wir uns in der Not verhalten wie eine Ente – allerdings mit weniger gutem Erfolg, es bleibt uns nur die Luft weg.
Am Ende des zweiten Teils, in dem gezeigt wurde, wie es geht, aus dem Tritt und wieder in den Tritt zu kommen, bleibt festzustellen, dass das Voranschreiten auf dem eigenen Lebensweg ganz offenbar von einem mehr oder weniger geglückten Hin- und-Her-Pendeln zwischen Gegensätzen geprägt ist. Dass dabei auch eine Linie gezogen werden muss – vom Anfang bis zum Ende hin –, soll das Thema des letzten Abschnitts sein.
1.Wie psychosomatische Störungen auf Entwicklungsaufgaben hinweisen
Während unserer Lebenszeit treten psychosomatische Störungen gehäuft dann auf, wenn das Leben neue Forderungen an uns stellt, also in Zeiten, in denen Veränderungen anstehen. Wenn wir diesen Veränderungen nicht oder in nicht ausreichendem Maße nachkommen, »stört« uns der Körper beim Weitergehen oder behindert uns so sehr, dass gar nichts mehr geht. Dazwischen – so etwa im Alter von zwischen 25 und 45 Jahren – gibt der Körper Ruhe und lässt uns ungestört voranschreiten. Solche Erfahrungen machen viele Menschen – und wenn sie merken, dass sich da gerade mal wieder ein Entwicklungsknoten lösen soll, halten sie inne und prüfen nach, ob die Richtung noch stimmt.
Dann nehmen sie sich eine Aus-Zeit zum Nachdenken, manche gehen wandern oder auf den Jakobsweg, andere wieder ganz weit weg, damit sie Distanz gewinnen. Früher, als die Abläufe des Lebens noch stärker festgelegt waren, war es üblich, zumindest für die Männer, nach der Lehre als fahrender Gesell in die Welt hinauszugehen – während das Mädchen zu Hause auf ihn wartete – warten ist auch so etwas wie eine Aus-Zeit.
In der indischen Kultur ist eine Unterbrechung nach dem Arbeitsleben vorgesehen, wo der Mensch sich für ein Jahr allein und unter Zurücklassung all seiner Güter aus der Geschäftigkeit zurückzieht, um zu meditieren. Im asiatischen Kulturraum verbringen viele Kinder im Jugendalter eine gewisse Zeit in einem buddhistischen Kloster, wo sie die Riten und Gebete lernen und zusammen mit den Mönchen sehr einfach und zurückgezogen leben. Sie werden für die Verrichtungen des Alltags herangezogen: putzen, kochen, abspülen, waschen – all die Dinge, für die zu Hause die Mütter zuständig sind. Danach kehren sie ins weltliche Leben zurück – falls sie nicht im Kloster bleiben – und entscheiden, wo es hingehen soll.
In vielen Stammeskulturen werden im Zusammenhang mit Übergangsritualen – sei es vom Knaben zum Mann, von der Frau zur Schamanin, für den Mann desgleichen, vom einfachen Mann zum Stammesoberhaupt oder zum König – Zeiten der sozialen Isolation und der Einsamkeit verlangt. Heute, da sich die jungen Frauen gleichermaßen den Herausforderungen der Draußen-Welt stellen, brauchen sie, aus meiner Sicht, ebenfalls eine Zwischen-Zeit.
Auch unsere Jugendlichen nehmen sich gern nach dem Abschluss einer Entwicklungsphase, der Schulzeit oder dem Studium, eine Aus-Zeit und fangen dann etwas Neues an.
Das Neue fordert sehr oft einen Richtungswechsel auf dem eingeschlagenen Weg, weil einfach etwas anderes dran ist, oder, weil man sich bei Entscheidungen vertan hat. Wenn einer das nicht selbst merkt, schickt der Körper eine Störung und lässt einen nicht weitergehen. Wie viele Wechsel des Studienfachs, des Wohnortes, der Partner hat der Körper schon erzwingen müssen! Oft sehr zum Erstaunen der direkt
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