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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fine
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Blick auf die Paare ringsherum konnte ich sehen, daß sie alle – meinen Partner eingeschlossen – trotz ihrer erregten Verfassung und verbalen Exzesse die Augen in erkennbarer Konzentration fest geschlossen hielten, ein Kunststück, das ich nachzuvollziehen trachtete.
    Für Tad kann ich nicht sprechen, aber ich vermute, hinter seinen geschlossen Lidern zogen Bilder eines glücklichen ›und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute‹ in Horizont vorüber. Da ich niemals dort gewesen war und nur auf seine und Annas Beschreibungen zurückgreifen konnte, fand ich es unmöglich, mir ein deutliches Bild von diesem Ort vor Augen zu halten. Also konzentrierte ich mich auf Armstrong und imaginierte meinen Sohn, aus den Studios befreit und wieder ganz er selbst, wie er mir beim Landungsobelisken freudig entgegeneilte. Und während Tad in lustvollem Taumel »Ooooh Molly!« stöhnte, rief ich: »Junior! Oh, Junior!«, eine Diskrepanz, die er in dem allgemeinen Getöse nicht wahrnahm, doch mir legte sie sich schwer auf die Seele, mußte ich doch begreifen, daß es eigentlich der Sohn war, den ich begehrte. Diese Erkenntnis schockierte sogar mich, wirkte aber gleichzeitig befreiend, denn jetzt wußte ich den Grund für meine zwiespältigen Gefühle bei Tads Antrag. Dennoch war es ein schmerzlicher Moment, denn es war der Vater, auf dem ich mich in ekstatischer Vereinigung wand. »O lieber Chef. Muß ich denn immer wieder unter dem Einfluß konträrer Impulse agieren?« sagte ich zu mir selbst und spürte die Abwesenheit des Sohnes weit stärker als die Anwesenheit des Vaters. Diese bittersüße, von einem exquisiten Paradoxon geprägte Empfindung dauerte nur einen Moment – aber was für einen Moment! –, denn schon im nächsten brach ein wahres Pandämonium aus, die Lichter gingen an, blendeten uns, und die Polizei von Armstrong stürmte in den Raum.
    Wie es mir und so vielen anderen gelang, ihnen zu entwischen, weiß ich bis heute nicht. Es war bestimmt keine sehr erfolgreiche Razzia. Eigens für Notfälle dieser Art existierten in der Freistatt mehrere Fluchttunnels, und durch einen von denen muß ich entkommen sein, weil ich mich plötzlich in einem leerstehenden Haus neben unserem Gebäude wiederfand, eine viel zu große Tunika, die ich irgendwo an mich gerafft haben mußte, krampfhaft an die Brust gepreßt. Ich rief nach Jubilee, dann packte mich jemand und zog mich mit sich in die Dunkelheit. Ich vermute, es handelte sich um einen Androiden, denn Menschen hätten mich nicht daran hindern können, wieder in diesen Tunnel zu stürzen und meine Tochter zu suchen. Danach kann ich mich erinnern, wie ich neben den anderen herlief, bis beschlossen wurde, daß wir uns trennen und später am Obelisken wiedertreffen sollten. Dann war ich allein, und es blieb mir nichts weiter zu tun, als das Hemd anzuziehen und mich bis zum Abend unter einer Treppe zu verstecken. Als es dunkel wurde, wagte ich mich hinaus, verirrte mich trotz meines internen Kompasses und geriet in den Busbahnhof von Armstrong. Dort mischte ich mich unter den Pöbel und versuchte dumpf, das Unheil zu begreifen, das so plötzlich über mich hereingebrochen war. Leider ohne großen Erfolg. Zu erschüttert, um klar denken zu können, hockte ich einen ganzen Tag wie gelähmt im Wartesaal und trauerte über den Verlust von Jubilee, Tad, Anna und dem Glück, das ich nur so kurze Zeit genießen durfte. Es war der Tiefpunkt, der absolute Tiefpunkt!
    Nach und nach kam mir wieder zum Bewußtsein, daß es einen Plan für ein Treffen am Obelisken gegeben hatte. Ich faßte mir ein Herz und machte mich auf den Weg dorthin. Nach häufigem Fragen langte ich endlich am Apollo-Park an, wegen meines Nervenzusammenbruchs im Bahnhof anderthalb Tage zu spät. Womöglich hatten auch Tad und Anna fliehen können und Jubilee mit sich genommen. Warum nicht? Immerhin hatten wir uns allein durch meinen Tunnel zu viert davongemacht … Halt! Waren das nicht Aquarier, die sich wie gewöhnlich vor dem Apollo-Museum eingefunden hatten? War es ein Trugbild, oder erlebte ich die reale Manifestation meiner bevorzugten Realität, die endlich wieder on line kam?
    Ich näherte mich ihnen mit Vorsicht, da ich fürchtete, sie könnten sich als eine aus der Verzweiflung geborene Fata Morgana entpuppen und sich unvermittelt in Luft auflösen. Als ich in Hörweite stehenblieb, um sie anzusprechen, sah ich, daß mir ihre Gesichter fremd waren, aber sie wirkten durchaus real, also fragte

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