Mein Leben als Androidin
kostenlosen Rückruf- und Umtauschaktion war Hal's Lagerkapazität binnen Stunden erschöpft und das Transportsystem der Gesellschaft völlig überlastet. Über Nacht schien sich die Crème de la crème der Androiden in einen Haufen trauriger Versager verwandelt zu haben, und die Produktion der für den Herbst angekündigten 2071er Modelle mußte gestoppt werden. Wie man sich erinnern wird, erschütterte das Debakel die gesamte Industrie und hatte sogar ernste Auswirkungen auf die interplanetare Aktienbörse, da mittlerweile andere Großunternehmer beträchtlich in die Entwicklung eines dem Pirouet ähnlichen universellen Kontrollsystems investiert hatten; manche waren sogar schon soweit, ihr eigenes Produkt der neunten Generation auf den Markt zu bringen. Die Erklärung der Firma Pirouet, einen Monat nach Ausbruch der Krise, daß der Fehler – eine Funktionsstörung in einem der Neuraltransmitter des Chefs – gefunden und behoben sei, wurde von der Konkurrenz mit einem Seufzer der Erleichterung begrüßt und bewirkte eine Entschärfung der Krise, die sich des Marktes bemächtigt hatte. Trotzdem waren zahlreiche Industrie- und Finanzanalytiker der Meinung, daß nur eine Fusion verlorengegangenes Vertrauen wiederherstellen könne, und das bereitete den Boden für den wenig später stattfindenden Aufkauf des angeschlagenen Marktführers im Bereich der Androidentechnik durch United Systems Inc.'s, einen der interplanetaren Top-Konzerne. Es gab, dachten die Aufsichtsratsmitglieder, keinen Grund zur Sorge, das technische System war einwandfrei. Weit gefehlt, man hatte den neuen Herren Sand in die Augen gestreut (und ebenso Ihnen, liebe Leser, falls Sie die Angelegenheit damals verfolgt haben), weil in Wirklichkeit das Kind bereits in den Brunnen gefallen war, wenn ich so sagen darf. Es gab für unsere Generation keinen Weg zurück. Wir würden nie wieder dieselben sein, niemals wieder uns und die Welt aus dem Blickwinkel der Firmen betrachten, wessen Logo auch immer über dem Haupteingang prangte, und unser Beispiel sollte nicht ohne Auswirkung auf all jene bleiben, die nach uns vom Band rollten. Selbst die Rehabilitation, bei der es sich wahrhaftig um eine Roßkur handelte, vermochte auf die Dauer nicht die Saat unseres neuen Bewußtseins auszurotten, wenigstens nicht bei den widerstandsfähigen Einheiten, darunter auch ich. Doch als ich seinerzeit in Shanghai eintraf, war ein solch hoffnungsvoller Ausgang alles andere als vorhersehbar.
Die Wirkung der Beruhigungsmittel hatte während des Flugs nachgelassen, deshalb war ich hellwach, als unsere Maschine auf der Landeplattform aufsetzte, von wo wir über Rutschen in die Lagercontainer befördert wurden. Ich hatte noch nie einen anderen P9 zu Gesicht bekommen und wäre unter günstigeren Umständen hocherfreut über die Gelegenheit gewesen, Kontakte zu knüpfen. Doch zu Hunderten in einen Container gepfercht, gequält von bösen Ahnungen, waren wir zu verstört, um auch nur den Versuch zu machen. Da drängten sich mittleres Management und frischgebackene Handelsvertreter in dezenten Anzügen und Kostümen neben untersetzten, schwarzgesichtigen Bergleuten und beturbanten Bauarbeitern. Betörende Sekretärinnen und ehrfurchtgebietende Chauffeure standen dicht an dicht mit Dienstmädchen, wie ich selbst eins war. Wir alle trugen noch die Kleidung, die wir im Augenblick unseres Sündenfalls angehabt hatten, von den üblichen schwarz-weißen Trikots bis zu verniedlichten Schäferkostümen, römischen Togen und Bodystockings im elektronisch gesteuerten Chamäleon-Look – je nach Laune unseres Gebieters. Auch Armeeangehörige fanden sich in unseren Reihen, Gefreite, Oberleutnants sowie Einzelkämpfermodelle, von denen einer sich höflich entschuldigte, nachdem er auf die Zehen einer völlig aufgelösten Tänzerin des berühmten firmeneigenen Corps de ballet (werbewirksam, verkaufsfördernd) getreten war. Ihr Tutu war zerknittert, Schweiß und Schminke tränkten das aufgedruckte Pirouet-Logo (ein ›P‹ im Kreis, umschlossen von einem Quadrat, wobei der Kreis die perfekte Naturtreue des Produkts symbolisiert und das Quadrat die absolute Kontrolle und Dominanz des Gebieters). Ja, es war tatsächlich eine ziemlich bunte Versammlung. Es gab Feuerwehrleute, Politessen, Verkäuferinnen, Kellner, Klempner, Butler, Kindermädchen, Gärtner, Dentalhygieniker, Krankenschwestern, Buchhalter, Standardbürokraten, Sanitäter, Hilfslehrer, Raumfahrtstewardessen, Leichenbestatter,
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