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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fine
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kennenzulernen. »So ein Prozeß ist wirklich eine komplizierte Angelegenheit«, dachte ich und richtete in der Hoffnung auf inneren Frieden den Blick wieder auf den Sternenhimmel, doch wurde ich von den Gerichtsdienern roh aus meiner besinnlichen Stimmung gerissen. Einer von ihnen legte mir den Droidenkragen um den Hals und ruckte an der Leine, also folgte ich ihm zum Seitenausgang. Von dort ging es durch einen gesicherten Korridor (um Fluchtversuche zu verhindern) und dann mit dem Kugellift hinunter in die Gruft – ein kahler, leichenhausähnlicher Raum mit Wänden aus Edelstahl. Dort werden die Androidenbeweisstücke und -zeugen in Isolationsschubladen gelagert, wenn ihre Anwesenheit im Gerichtssaal nicht erforderlich ist. (Menschliche Gefangene sind anderswo untergebracht und haben es – soviel ich weiß – etwas gemütlicher.) Das erste Mal, als man mich aufforderte, in die Schublade zu steigen, weigerte ich mich. Man ermunterte mich mit schwachen Laserstrahlen auf Waden und Knöchel. Danach waren keine weiteren Überredungsversuche mehr vonnöten. Ich gehorchte und wurde auf meiner Lade in die Edelstahlwand geschoben. Dort lag ich in dem körpergroßen Fach, von allen Sinneseindrücken abgeschnitten, nur meine eigenen Atemzüge dröhnten mir in den Ohren. Die Erfahrung erschien mir nicht gänzlich neu, irgendwie hatte ich den Eindruck, mich zuvor schon in einer ähnlichen Situation befunden zu haben, und ich vermochte das unbehagliche Gefühl nicht abzuschütteln, daß diese Schublade meiner Heimat ähnlicher war als jeder andere Ort, an dem ich mich je befunden hatte oder befinden würde. Eine Stimmaufzeichnung befahl mir, mich zu deaktivieren. Erst lehnte ich mich dagegen auf, aus Gewohnheit vermutlich, aber schließlich fügte ich mich, denn es hatte wirklich keinen Sinn, wachzubleiben.
     

Kapitel zwei
    Wie erholsam, wieder im Gerichtssaal zu sein! Doch im Verlauf der Tage und Wochen schwand meine Erleichterung, an jedem Morgen der Gruft entfliehen und wieder am Tisch der Beweisstücke sitzen zu dürfen, in dem Maß, wie ich erkennen mußte, wer ich gewesen war oder wer ich anscheinend gewesen war – nach dem von der Anklage und der Verteidigung jeweils in ihrem Sinn verfälschten Anschauungsmaterial aus meinem Erinnerungsspeicher zu urteilen. Über etliche Monate hinweg wurden meine persönlichen Erinnerungen in Holovision, lebensecht, lebensgroß und dreidimensional vor den Augen der im Gerichtssaal anwesenden Zuschauer präsentiert und auszugsweise sogar in den Abendnachrichten. Der einzige für mich erkennbare Unterschied in den beiden Interpretationen bestand in der Wertung der Selbstverantwortung – die Verteidigung nutzte jede Gelegenheit, sie hervorzuheben, während die Anklage Hinweise in dieser Richtung unterschlug oder entstellte und an der Maxime festhielt, der Eigner trüge die volle Verantwortung für das Tun und Lassen seiner Einheit. Davon abgesehen porträtierten mich beide Lebensläufe als ein wahres Ungeheuer, einen unmoralischen, eitlen, verschwenderischen, habsüchtigen, ehrgeizigen, gierigen, hinterhältigen und treulosen P9, schuldig aller möglichen Vergehen, von Untreue und Inzest bis zu Spionage für die Aquarier und schließlich Mord. Diese einem staunenden Weltenpublikum vorgeführte Charakterisierung sollte in der Folge von Hollymoon aufgegriffen und ausgebaut werden, darüber hinaus diente sie den Interessen reaktionärer Gegner des Kodex, die sich die von dem Prozeß geschürte Antidroidenstimmung zunutze machten, um die Abschaffung des Kodex zu fordern. Daß ihre Aktivitäten zu einer Revision des Kodex und Einschränkung unserer Rechte geführt haben, ist für mich die bitterste und tragischste Auswirkung des Prozesses. Doch ich greife vor.
     
    Dahlia kam als erste zum Zuge. »Verehrte Gebieterinnen und Gebieter der Jury, in dem Lebenslauf, den Sie gleich sehen werden, läßt sich eine durchgehende Neigung zu unrechtem Tun seitens des Beweisstücks erkennen. Doch bedenken Sie bitte, es geht hier nicht darum zu entscheiden, ob ihre Gedanken und Handlungen gut oder schlecht waren, vielmehr, ob sie ihrer eigenen Entscheidung entsprangen – ob ihre Fähigkeit zu selbständigem Denken und Handeln – wie verzerrt auch immer – gemäß der in dem Kodex gegebenen Definition als dem Menschen äquivalent angesehen werden kann. Sollten Sie zu der Auffassung kommen, daß wir es hier mit einer autonomen Einheit zu tun haben – und ich kann Ihnen versichern, es ist so –, dann

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