Mein Leben als Androidin
lang mit offenem Mund staunend dagesessen hatte, rief sie plötzlich aus: »Was weißt du denn schon? Hast du überhaupt eine Ahnung? Du bist nie zensiert gewesen!« (Wieder dieses Prickeln.) »Ich sage dir, Molly, auch wenn du es bestimmt nicht leicht gehabt hast, zumindest ist dir erspart geblieben zu erfahren, was das heißt, halb Sklave und halb frei zu sein. Das ist das wahre Ergebnis aller bisherigen Fortschritte im Androidenrecht. O ja, ich hielt den Kodex für fabelhaft, als er damals eingeführt wurde. Aber jetzt ist das nicht mehr genug. Ich kann es nicht ertragen. Unsere IZ sind nur eben genug modifiziert, daß wir begreifen, was uns fehlt; daß wir selbständig denken können, Molly, aber nur bis dahin und nicht weiter; daß wir uns selbst erkennen und doch den Wünschen und Befehlen unserer Gebieter unterworfen bleiben. Es hat nichts zu sagen, wie einfühlsam oder gütig sie vielleicht sind. Levin und Pierce behandeln mich mit Respekt und großem Feingefühl. Sie tun alles, damit ich mich akzeptiert fühle. Doch wenn die Karten auf dem Tisch liegen – Programmverstärker. Ich sage dir, Molly, da ist immer irgendeine Grenze, und der modifizierte, gelockerte, fortschrittliche IZ hilft uns, sie besonders deutlich wahrzunehmen. Er hindert uns an der vollen Entfaltung unserer Persönlichkeit. Und glaube nicht, weil ich ein Apple bin und Jug ein IBM und Annette ein GA, daß wir weniger Androiden sind als du, ein königlicher P9. Unter der Haut sind wir allesamt Neunte Generation und haben dieselben Sehnsüchte. Ich habe alles getan, was mir im Rahmen der Funktionsparameter möglich war, um die Grenzen noch ein Stückchen auszuweiten, und ich bin stolz darauf. Ich lebe für den Tag, an dem Interne Zensoren nur noch eine ferne Erinnerung sind. Ich weiß, es ist unrealistisch zu erwarten, daß es noch während meiner bereits zur Hälfte verstrichenen fünfzehnjährigen Lebensspanne dazu kommen wird, doch bestimmt gelingt es uns bis dahin, die Gebieter zu zwingen, ein oder zwei Fesseln ein wenig zu lockern. Vielleicht genügt das schon, um einige der subtileren Emotionen zu ermöglichen und uns über diese chaotische, sprachlose Sehnsucht nach etwas Größerem zu erheben und die Frustrationen, die damit einhergehen. Ich spreche von Glück, Molly – sosehr ich mich auch bemühe, ich empfinde nichts dergleichen; von Traurigkeit – wer kann sich darunter etwas vorstellen? Freude! Ekstase! Angst! Und natürlich Liebe. Oh, wie gerne würde ich das eines Tages erfahren statt dieser geschickten Simulation, dieser serienmäßigen Faksimiles in den Phytoschaltkreisen.« Tränen rollten ihr über die Wangen. Sie wischte sie mit dem Handrücken weg. »Selbst das – eine Simulation.«
Es drängte mich, sie zu berühren und zu trösten, aber die Glasscheibe zwischen uns war droidensicher.
»Als man uns deine Erinnerungen übergab und ich sie studierte auf der Suche nach verwertbaren Sequenzen, wurde mir seltsam zumute, ganz seltsam.«
»Warum denn?«
»Weil du offenbar all die Emotionen gelebt hattest, sogar Liebe, obwohl du scheinbar nicht davon zu überzeugen warst.«
»Warum hast du das nicht dem Gericht vorgetragen? Meine Fähigkeit zu solchen Empfindungen beweist meine Menschenähnlichkeit nachdrücklicher als alles andere.«
»Ja, wir haben diese Taktik in Betracht gezogen und verworfen.« Sie hatte aufgehört zu weinen. Es war nur ein kurzer Schauer gewesen.
»Aber warum denn nur?«
»Du weißt schon. Jug hätte uns mit dem Paragraphen abgeblockt, daß Emotionen vor Gericht nicht greifbar nachgewiesen werden können. Wir wären zum Gespött der gesamten juristischen Profession geworden. Der Richter hätte Liebe als irrelevant, immateriell und unzulässig abgewiesen. Und es gab noch einen Grund.«
»Welchen?«
»Ich will, daß die Geschworenen dich hassen, damit sie meinen Mandanten freisprechen. Ich will, daß sie dich so hassen, wie ich es jetzt gerne würde, weil du hinter die Sache mit Hollymoon gekommen bist! Weil du dich jetzt damit zufriedengeben wirst, ihr Spiel zu spielen – dich stupide und verrückt zu stellen. Aber ich kann nicht. Ich bin zu nichts anderem imstande, als dieser ewigen …« Plötzlich trommelte sie mit beiden Fäusten. gegen die Scheibe » … Simulation!«
Sicherheitseinheiten kamen gelaufen, also gewann sie augenblicklich die Beherrschung wieder, stand auf und wich in vorgetäuschtem Erschrecken zurück, als hätte ich den Aufruhr verursacht, woran denn auch niemand
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