Mein Leben als Androidin
ließen, doch wenn der Fall eintreten sollte, blieb uns immer noch der Ausweg, die Flasche wieder einzustöpseln. »Sobald die Dichtung einmal beschädigt ist, kriegen wir das nie wieder hin«, hielt Tad dagegen. Ungeachtet dessen wollte er mir den Willen tun, falls ich wirklich dem Ersticken nahe wäre. Ich erwiderte, so arg sei es noch nicht, und fand mich damit ab, noch eine Weile standhaft zu bleiben (wie der Chef sagen würde), denn Tad ging es wahrhaftig ebenso schlecht, wenn nicht schlechter, schien doch inzwischen die Sonne wieder mit aller Macht.
So verbrachten wir den Rest jenes Tages in einer Art Dämmerzustand, lagen still und sprachen kaum, bis auf gelegentliche Klagen über Hunger und Durst und seinen Sonnenbrand, der mittlerweile tatsächlich zur Sorge Anlaß gab. Gegen Abend war es in meinem Behälter derart stickig, daß ich glaubte, die Nacht nicht zu überleben. Ich sagte Tad Bescheid. »Herrje, Molly, ich weiß nicht«, meinte er. »Kannst du vielleicht noch ein bißchen aushalten? Es ist ein großes Risiko. Die See scheint unruhig zu werden.« Nicht wenig pikiert erwiderte ich, mit seiner angeblichen Liebe sei es wohl nicht weit her, ich wäre offenbar nur Ballast für ihn und könne ruhig ersticken, Hauptsache, er hätte ein intaktes Rettungsfloß und damit eine Überlebenschance. »Wie kannst du das sagen? Ich liebe dich!« – »Wenn du mich wirklich liebst, dann läßt du mich atmen!« – »O Mann, ich weiß nicht. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.« Der verängstigte Teenager kam wieder zum Vorschein.
»Hör zu, Tad«, sagte ich und zerrte an dem Schlauch, der von innen an der Flasche befestigt war, »wenn wir unser eigenes Format programmieren können, weshalb uns dann Sorgen machen, daß vielleicht ein Sturm aufzieht und der Container sinkt?« Das beruhigte und ernüchterte ihn. Er gab mir recht und meinte, wir sollten auf den Chef vertrauen und fest daran glauben, daß das Meer unser Freund sei, ein sanfter, gütiger Freund, der uns in einen sicheren Hafen geleiten würde.
Ein leises Plopp ertönte, als ich den Schlauch herausriß, dann drückte ich mit dem Daumen gegen die Gummidichtung der Flasche, während Tad – der perfekte Kavalier – von der anderen Seite zog, um mich zu unterstützen. Nach wenigen Sekunden war die Nutraflasche entfernt. Er hatte sie behalten wollen, doch rutschte sie ihm aus den Händen und verschwand in den Fluten. Ein ominöses Omen, dachte ich, denn beinahe sofort frischte der Wind auf. Bald war der Seegang stark genug, daß mein verschreckter Gefährte um ein Haar den Halt verloren hätte, während mir nichts anderes übrigblieb, als mit vollen Backen durch die verhängnisvolle Öffnung wieder hinauszuspucken, was sich an Leckwasser am Boden des Containers sammelte. Das war die wirksamste Methode, wenn auch nicht unbedingt die angenehmste, und ich verabscheute den Geschmack. Gegen Morgen setzte ein leichter Regen ein, der bis zum Nachmittag andauerte und immer heftiger wurde. Am Abend – der Beginn unseres dritten Tages auf See – brach die volle Gewalt des Sturms über uns herein, mit zwei, drei Meter hohen gischtgekrönten Wellen!
Wegen der Dunkelheit konnte ich nicht sehen, ob Tad sich noch auf dem Container zu halten vermochte. Dann hörte ich ihn rufen: »Meine Kräfte lassen nach! Dies ist das Ende. O Gott!« Ich war zu sehr von dem Kampf gegen das eindringende Wasser in Anspruch genommen, um antworten zu können, denn ganz gleich, wieviel ich ausspie, es stand immer gut fünfzehn Zentimeter hoch in der Bilge. Über eine Stunde lang wurden wir herumgeworfen, und etliche Male glaubte ich ihn verloren zu haben, aber dann hörte ich von oben einen Schlag und ein Stöhnen und wußte, er war noch da. Endlich flaute der Sturm ab, und während wir unsere Lebensgeister sammelten, fragte ich ihn, was er tags zuvor gemeint hatte mit seiner Behauptung, mich zu lieben. Ich war überzeugt, dies würde unser letztes Gespräch sein und meine letzte Chance, eines der hartnäckigeren Geheimnisse des Lebens zu enträtseln. Sehen Sie, ich hegte den Verdacht, daß wir ohne diese seltsame Macht, die nach seinen Angaben die Triebfeder für seine Kampagne zur Wiederherstellung meines Eigenbewußtseins nach der Kur gewesen war, niemals in eine derart mißliche Lage gekommen wären. Was so drastisch auf das eigene Leben und das Leben anderer einzuwirken vermochte, unsichtbar, ungreifbar und – für mich – unbegreiflich, war ein Rätsel, das unbedingt gelöst
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