Mein Leben als Androidin
Kundenkreis aufgebaut. Statt die Ware – wie sie mich glauben machte – kostenlos an die anderen Mädchen weiterzugeben, hatte sie die Orbs zu den üblichen überhöhten Preisen verhökert und ihr neugewonnenes Ansehen im Milieu dazu genutzt, sich mit Rolands Lieferanten ins Einvernehmen zu setzen, der nach Ersatz für den heruntergekommenen Luden suchte. So mußte ich zu meiner Bestürzung erfahren, daß außer Rolands Mädchen auch Schüler und Studenten von den Vorortinseln zu ihren Abnehmern gehörten; diese Transaktionen fanden im Bahnhofsgebäude statt. Da sie meine wichtige Rolle durchaus anerkannte, die ich bei diesem glücklichen Wandel von der Hure zur Drogenhändlerin gespielt hatte, bot sie mir großzügig ein Stück vom Kuchen an. Ich lehnte mit der Begründung ab, daß ich. lieber bei meinem bisherigen und ehrenhafteren Gewerbe bleiben wolle, und versuchte sie dann zu überreden, dieses gefährliche Unternehmen aufzugeben und mich nach Malibu zu begleiten, denn – um die Wahrheit zu sagen – ich hatte Angst, mich alleine auf den Weg zu machen, beschränkte sich doch meine Welterfahrung auf die wenigen Straßen um den Bahnhof und Rolands Wohnung. Doch Eva war nicht mehr daran interessiert, für Miss Pristines Agentur zu arbeiten (früher das Ziel all ihrer Wünsche); eigentlich dachte sie daran, ganz aus der Liebesberatung auszusteigen.
Wie vor den Kopf geschlagen, kehrte ich in die Wohnung zurück, und während ich grübelte, wurde ich mir immer mehr meiner großen Dummheit bewußt, denn indem ich versuchte, ein Unrecht gutzumachen – Rolands Verrat an mir und seine Unterdrückung Evas und der anderen Mädchen –, hatte ich ein neues Übel auf die ahnungslose Welt losgelassen, ohne selbst dabei etwas zu gewinnen. Ich hatte einen verdorbenen Apfel aus dem Faß genommen, doch die Fäulnis hatte schon auf den nächsten übergegriffen, in diesem Fall Eva, die das Erbe des Schurken im Drogenhandel angetreten hatte. Das war meine erste Kostprobe von moralischer Doppelbödigkeit, und ich kann nicht sagen, daß ich Gefallen daran fand. Ebenso bitter war die zweite Konsequenz meiner Tat, denn Roland ging dazu über, seine Sucht durch Straßenraub und Einbruchsdiebstahl zu finanzieren, was er achselzuckend gestand, als ich ihn wegen eines Lasergewehrs zur Rede stellte, das ich in einer Kommodenschublade gefunden hatte. Als dritte und unerträglichste Folge meines blauäugigen Versuchs, die Welt zu verbessern, mußte Annette als Blitzableiter für seine Wut und Frustration herhalten: Damit war der Kreislauf aus Schmerz und Elend, den ich in Gang gesetzt hatte, vollendet und der Schwarze Peter wieder an seinem Ausgangspunkt angekommen.
Der Feigling. Er war sich zu sehr meines +5-Kraftfaktors bewußt – und zu abhängig von dem Mel, das ich von meinem Verdienst für die Miete und den Unterhalt des Caddy beisteuerte –, als daß er sich mit mir angelegt hätte, denn solange ich mich in der Wohnung aufhielt, wagte er es nicht, Annette zu mißhandeln. Also bekam er seine Anfälle, wenn ich unterwegs war. Eines Tages kam ich nach Hause und sah, daß ihre Hautschutzschicht unter seinen Schlägen an verschiedenen Stellen aufgeplatzt war. »Das war längst fällig«, sagte er. Seine Kaltschnäuzigkeit raubte mir die Beherrschung; ich erklärte, daß er bloß mich anzuschauen brauchte, um den Grund für sein Unglück der letzten Zeit vor Augen zu haben. Dann, einmal in Fahrt gekommen, setzte ich ihm haarklein auseinander, wie ich vorgegangen war, und forderte ihn heraus, mich doch zu bestrafen.
Er wirkte dermaßen betäubt, daß ich ihn – wäre er nicht ein Mensch gewesen – für vollkommen deaktiviert gehalten hätte, doch erholte er sich rasch, allerdings nur körperlich; sein Verstand mußte ausgesetzt haben, denn plötzlich schlug er mit beiden Fäusten auf mich ein und schrie, ich wäre ein toter Droide. Ein kräftiger Stoß bereitete dem unwürdigen Schauspiel ein Ende. Er flog gegen die Wand und schlug sich den Kopf an. Während er besinnungslos am Boden lag, durchsuchte ich in aller Eile die Wohnung nach dem Laser, konnte ihn aber nicht finden, also hatte er die Waffe vor mir versteckt. Da es kaum einen Zweifel daran geben konnte, daß er sie bei der nächsten Gelegenheit auf mich richten würde, beschloß ich, nun endgültig zu neuen Ufern aufzubrechen. Ich machte mich schnurstracks auf den Weg zu Evas Wohnung und nahm Annette mit.
Als ich in ihre im siebten Stock eines heruntergekommenen Hochhauses
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