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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fine
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durch ihre Worte heraufbeschworene, erschreckende Möglichkeit, Roland könnte überlebt haben und eines Tages bei uns auftauchen, hatte mir einen gehörigen Schrecken eingejagt. Ich muß ziemlich überzeugend gewirkt haben, weil sie etwas ruhiger wurde, allerdings war es damit gleich wieder vorbei, als sie zum Vorstellungsgespräch gerufen wurde. Wie Harry (er forderte mich auf, ihn Harry zu nennen) mir später anvertraute, erschienen ihm die Proportionen meiner Freundin allzu ausladend und ihr Wesen eher für die Straße geeignet als für die exklusiven Schlafzimmer und Hotelsuiten von Malibu. Ich dagegen entsprach genau den Anforderungen von Miss Pristines Agentur, freue er sich sagen zu können, und von nun an würde er mein ›Manager‹ sein.
    Ohne langes Hin und Her wurde ich unter dem Namen Angelika registriert und in ein kleines Holostudio geführt, wo ein Cyberen-9-Fotoprofi bei der Herstellung meines Präsentationsholos Regie führte. In extremer Nahaufnahme ließ ich die gedehnten Silben meines neuen Namens von den Lippen schmelzen, nahm anschließend nackt diverse verführerische Posen ein, plauderte dabei von meinen persönlichen Vorlieben und Abneigungen (ich las sie von einem Teleprompter ab) und versprach alles in allem dem Betrachter die herrlichste Zeit seines Lebens. »Dein Portefolio wird interessierten Kunden übermittelt, wenn sie bei uns anrufen«, erklärte Harry, nachdem ich wieder in sein Büro zurückgekehrt war. Er überreichte mir ein Kontakthalsband mit einem kleinen Knopftelefon als Anhänger, es sah aus wie ein Amethyst, und verlieh der Überzeugung Ausdruck, daß mein Rufer sehr bald summen würde. Wir schüttelten uns die Hände, und bevor ich aus der Tür ging, gab er mir noch rasch ein Exemplar der Hausordnung sowie eine Gebühren- und Auftragsliste. Auf diese Weise nahm ein großes und schillerndes Abenteuer seinen Anfang, eines, das mich in das Reich der wahren Gebieter führen sollte. Zuallererst jedoch stand mir die Aufgabe bevor, meine übergewichtige, pillensüchtige Freundin auf Vordermann zu bringen, damit auch sie in den Kreis der Auserwählten aufgenommen wurde, denn es wäre mir nie in den Sinn gekommen, sie im Stich zu lassen.
    Bald hatte ich Grund, meine Loyalität zu bereuen, denn als ich aus dem Haus trat – das Gespräch und die Holoaufnahmen hatten gut zwei Stunden gedauert –, marschierte sie bis zum Platzen geladen auf dem Bürgersteig hin und her. Daß sie abgelehnt worden war (und sie hatte den Job nicht mal gewollt!), versetzte sie zusammen mit den ersten Entzugserscheinungen – laufende Nase, Juckreiz, Niesanfälle – in eine dermaßen üble Stimmung, daß ich klug genug war, mein Glück herunterzuspielen, um sie nicht noch mehr zu reizen. Ohnehin war sie beinahe außer sich wegen der unvorstellbaren Reihe von Mißgeschicken, die ihr innerhalb weniger Stunden zugestoßen waren, seit ich den Nerv gehabt hatte, an ihre Tür zu klopfen. »Ich bin mein Geschäft los, Orbs, Geld, Cyberen, Gesicht und Stolz!« Als ich ihre Sicht der Dinge ein wenig zurechtrücken wollte und darauf hinwies, daß alles viel schlimmer sein könnte, falls man uns nämlich unter Mordverdacht ins Gefängnis eingeliefert hätte, schnauzte sie, daß die Entzugserscheinungen, unter denen sie jetzt leiden mußte, ihr erheblich schwerer zu schaffen machten und daß wir ohne jedes Mel zum Bodensatz der Gesellschaft gehörten. Dann wurde sie plötzlich von heftigen Muskelkrämpfen geschüttelt, gefolgt von der paranoiden Wahnvorstellung, Roland käme blutüberströmt auf dem Plankensteig auf uns zu. Entsetzt suchte sie Zuflucht unter dem Gehsteig und krümmte sich in Embryonalhaltung zusammen. Annette und ich setzten uns neben sie. Sie zitterte und würgte und gebärdete sich, als litte sie alle Qualen der Hölle, doch ging es ihr nie so schlecht, daß sie unfähig gewesen wäre, mich als den einzigen Grund ihres Elends zu verfluchen. »Und erzähl mir keinen Scheiß von wegen selbstbestimmter Realität!«
    »Vergiß es«, sagte ich.
    »Und ausgerechnet als ich glaubte, ich hätte es geschafft«, jammerte sie zwischen den Krämpfen und schleuderte mir ihre Philosophie entgegen, die die Wechselfälle des Lebens ihr aufgezwungen hatten. Streng deterministisch bestand sie auf der These, daß das Leben eine Sache des Glücks und der Anwesenheit zur rechten Zeit am rechten Ort ist, und insgesamt kommt es einen Dreck darauf an, was man tut oder nicht tut, denn am Ende ist man tot – so oder

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