Mein Leben als Androidin
ich meine verlorene Gefährtin auf dem nackten Zementboden liegend wiederfand, im selben Maße desinteressiert an meinem unerwarteten Auftauchen wie jedem meiner Vorschläge und Befehle zugänglich. Das ist keineswegs so widersprüchlich, wie es klingt, denn sie war mittlerweile in die schwerste und langwierigste Phase des Entzugs eingetreten, die durch einen Mangel an persönlicher Initiative, allgemeine Passivität sowie widerspruchslose Befolgung aller Anweisungen gekennzeichnet ist. Aus diesem Grund kennt man sie unter der Bezeichnung ›Künstliches Androidensyndrom‹ oder im alltäglichen Sprachgebrauch als ›die Droids‹.
Eine erstaunliche Umkehr der Verhältnisse hatte stattgefunden; Eva war Wachs in meinen Händen. (Wäre es nur dabei geblieben! Aber ich war dumm genug, sie vor sich selbst zu retten.) Sie tat alles, was ich sagte, ohne das geringste Zögern und ohne jeden Einwand und reagierte mit »Ja, gnädige Frau« und »Wie Sie wünschen, gnädige Frau« auf jede meiner Anordnungen, deren erste lautete, uns in der Stadt eine angemessene Unterkunft zu besorgen, denn für sie war es eine Kleinigkeit, die entsprechende Zahlungsanweisung auszufüllen und im Gästebuch mit einem falschen Namen zu unterschreiben. Sobald wir unser Hotelzimmer bezogen und eine Dusche genommen hatten, gab ich ihr den Auftrag, anständige Kleidung herbeizuschaffen, ganz gleich, auf welche Art und Weise. Als drittes sauste ich mit ihrem Jetpack und in einem atemberaubenden neuen Abendkleid, das sie für mich aufgetrieben hatte, auf der ganzen Insel herum, von einer lukrativen Sitzung zur anderen. (Ich hatte Harry mitgeteilt, ich sei wieder auf dem Damm und auf Kunden erpicht.) Nach einiger Zeit gelang es mir sogar, Eva zur Teilnahme an einem Entgiftungsprogramm der Anonymen Dipper zu überreden. Zwei Wochen später kehrte sie als neue Frau zurück, zeigte stolz ihr Erfolgszertifikat und erging sich über die Tugenden der drei S – Selbstdisziplin, Selbstvertrauen und Selbstachtung. Zur Festigung ihrer geläuterten Persönlichkeit dienten wöchentliche Zusammenkünfte, an denen sie mit fanatischer Pünktlichkeit teilnahm. Auch physisch war sie gewandelt, schlanker (das vierte S), gesünder, entspannter und damenhafter. Nicht einmal Harry Boffo erkannte sie wieder, als sie sich ein zweites Mal in Miss Pristines Agentur bewarb. Er beglückwünschte mich mit gesenkter Stimme zu meinem verbesserten Geschmack in puncto Freundinnen und überreichte ihr einen Halsschmuck.
»O Candy, ein Traum ist wahr geworden«, jauchzte sie, nachdem wir das Büro verlassen hatten, und trug das Halsband in dieser Nacht sogar im Bett. Ja, zusammen mit ihrem Verstand war auch der alte Traum wiedergekommen, als Spitzenkraft bei Miss Pristine Karriere zu machen. Nach ihrer ersten ›Klassesitzung‹ kehrte sie dermaßen verzückt in unser Hotelzimmer zurück, daß wir uns in gemeinsamer Glückseligkeit in die Arme sanken, denn, wie sie es formulierte, hier war in einer Nacht mehr zu verdienen als mit Huren und Dealen während einer ganzen Woche im Dodger District. Unser geradezu schwindelerregender Aufstieg raubte ihr schier den Atem, und ich muß gestehen, mir ging es nicht viel anders, denn dadurch, daß wir unsere Einnahmen in einen Topf warfen, waren wir binnen kurzem so gestellt, daß wir uns den unerhörten Luxus eines sündhaft teuren Grundstücks auf einem der Hügel rund um die Stadt leisten konnten und das entsprechend prunkvolle Modulkondo – gut genug für eine Königin; zwei Königinnen, in diesem Fall.
Ich werde niemals das erregende Gefühl vergessen, mit dem wir aus den Schaukästen im Maklerbüro die Komponenten unseres Domizils heraussuchten und dann zuschauten, wie noch am selben Tag die wirklichen Elemente von IBM-Arbeitern zusammengesetzt wurden, in Übereinstimmung mit unseren extravaganten Sonderwünschen. Nur zum Spaß ließen wir Annette einen tiefen Knicks vollführen, als wir Arm in Arm über die Schwelle schritten. Gemessen durchwanderten wir den geräumigen Salon, die moderne Küche, das Bad und die Speise- und Wohnzimmer im ersten Stock, stiegen anschließend die Wendeltreppe hinauf zu den Schlaf-, Lese-, Fernseh- und Gästezimmern der zweiten Etage und krönten die Hausbesichtigung mit einer Fahrt im Kugellift zur Aussichts- und Landeplattform auf dem Dach, um den atemberaubenden Rundblick auf unsere neue Umgebung zu genießen – vom Lake Catastrophe im Norden über Santa Monica und Hollywood zu den Los-Angeles-Inseln
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