Mein Leben als Androidin
er, selbstverständlich sollte ich ihm alles erzählen, aber zuerst müßte ich seinen Bericht anhören, denn wenn ich daran etwas auszusetzen fand, war ich in keiner Weise verpflichtet, ihn meinerseits ins Vertrauen zu ziehen, außer, ich hielt ihn dessen für würdig. Ich nickte, und er schilderte mir im Weitergehen seine Erlebnisse. Nachdem er ans Ufer gespült und zur Wiederbelebung ins Krankenhaus geschafft worden war, hatten ihn die Eltern zur Rekonvaleszenz nach Hause geholt. Der Aufenthalt dort deprimierte ihn so sehr, daß er sich dem Wunsch seiner Eltern entsprechend an der Hochschule für Rechtsberatung einschrieb und erst am Ende des ersten Quartalsemesters (es handelte sich um ein komprimiertes, einjähriges Studium) wieder zur Besinnung kam. Er flüchtete vom Universitätsorbiter zum Mond und wurde dort – dem Chef sei Dank! – von mehreren Mitarbeitern in den Glauben der Hochaquarier eingeführt. Eine von ihnen war Anna gewesen. Nach einigen Jahren in der Organisation erreichte er den Status des Geachteten Beraters und erwarb sich gleichzeitig einen gewissen Ruf im Underground-Skyway als wagemutiger Fährmann, der entlaufene Androiden zu sicheren Freistätten in Armstrong geleitete. Dann, nachdem der Kodex ratifiziert und das Projekt Horizont in Angriff genommen worden war, verlegte er sein Tätigkeitsfeld auf den Mars, um bei der Erbauung Mandalas zu helfen, der Hauptstadt, ein nicht ungefährliches Unternehmen wegen der von Frontera ausgehenden verdeckten Sabotageakte und Infiltrationsversuche.
Der Punkt, von dem er fürchtete, ich könnte daran Anstoß nehmen, war nichts weiter als die Neigung, seinen amourösen Instinkten im Rahmen der Glaubensgemeinschaft freien Lauf zu lassen. Seit seinem Beitritt hatte er viele Affären gehabt und zahllose Semis gezeugt, wie ich schon von Anna erfahren hatte. Doch da ich über den Glauben und die dazu gehörenden Gebräuche nicht Bescheid wußte, glaubte er, ich könnte mich – gelinde gesagt – abgestoßen fühlen oder ihn für einen Wüstling und Lustmolch halten.
Ich fühlte mich versucht, schallend zu lachen, in Anbetracht meiner eigenen Vergangenheit, doch dieser unheilbare Romantiker rührte mich so sehr, daß ich nur lächelte und ihm Vergebung gewährte. Inzwischen hatten wir das Vogelhaus erreicht, ein wunderschönes Heim für unzählige Spezies terrestrischer Vögel, exotischer Pflanzen und Bäume. Noch idyllischer wirkte die Anlage durch einen gewundenen Bach und zahlreiche murmelnde Rinnsale. Die Pagode, zu der er mich führte, war leer, also waren wir ganz für uns. Wir setzten uns auf eine der Bänke, die an den Wänden entlangliefen. Er entzündete eine Ekstarette, an der wir abwechselnd zogen – eine milde, selbstgezogene marsianische Mischung –, und forderte mich auf, jetzt zu erzählen, wie es mir ergangen war. »Also gut«, sagte ich und begann wie er mit dem Augenblick, als ich von der riesigen Welle auf den Strand geworfen wurde, doch von da an trennten sich unsere Wege: Der meine führte stracks in den Dodger District, statt heim nach Newacres. Als ich von meinen Aktivitäten dort berichtete, verschluckte er sich am Rauch der Ekstarette.
»Ich hielt es nur für natürlich, mich auf diese Weise anzubieten«, verteidigte ich mich, worauf er antwortete: »Ja. Ja, natürlich. Ich verstehe sehr gut. Wir Aquarier stehen über moralischen Wertungen. Das sind die Methoden der Gebieter. Sprich weiter.« Trotzdem schien die Schilderung meiner Beziehung zu Eva auf Malibu ihm ähnliche Schwierigkeiten zu bereiten, wenn er sie auch sofort herunterspielte und Neigungen dieser Art als ebenfalls ganz natürlich bezeichnete. Darüber hinaus gratulierte er mir zu dem Erfolg, den diese Partnerschaft mir gebracht hatte. Als nächstes erzürnte und entsetzte ihn der Versuch seines Vaters, mich zu ermorden. Er sagte mir, daß er von der Schießerei im Malibu-Cove gewußt hatte, aber nicht, daß ich das Ziel des Anschlags gewesen war. Vielleicht bedeutete es für mich – wie für ihn – eine Genugtuung zu erfahren, daß diese Episode meinem alten Widersacher zehn bis fünfzehn Jahre auf Ganymed eingetragen hatte, wegen Totschlags, denn einer seiner fehlgegangenen Schüsse hatte einen Gast im Nebenzimmer getötet.
Ich sagte, nein, es wäre keine Genugtuung, und ich bedauerte das Unglück, das ich über seine Familie gebracht hatte, doch er meinte, da gäbe es nichts zu bedauern, Ganymed wäre noch zu gut für solche wie ihn, er verdiente Einzelorbit
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