Mein Leben als Androidin
und nicht wegen der fahrlässigen Tötung – das Urteil war gerecht –, sondern weil er versucht hatte, mir etwas anzutun. »Nun, ich wünsche das keinem«, hielt ich ihm entgegen, »nicht einmal deinem Vater, und immerhin war ich das Opfer.« Das besänftigte ihn ein wenig. Anschließend wollte ich wissen, weshalb es ihn so überrascht hatte zu erfahren, daß ich darin verwickelt gewesen war, wenn er von dem Zwischenfall wußte.
Er erklärte, sein Vater habe vor Gericht ausgesagt, es sei ihm nur darum gegangen, eine entlaufene Einheit zu exterminieren, sein Eigentum, die er in dem Hotel entdeckt hatte, wo sie sich als Freudenmädchen ausgab. Doch Tad hatte die Behauptung für eine klägliche und verzweifelte Ausrede gehalten und ihm nicht geglaubt, ebensowenig wie der Richter, denn das Urteil und die harte Strafe berücksichtigten keinerlei mildernde Umstände. »Vielleicht war ich so sicher, daß er log, weil ich nicht glauben wollte, daß du so tief gesunken sein konntest. Oh, es tut mir leid, Molly. So habe ich das nicht gemeint. Ich …« Aber das Unheil war geschehen. Ich wandte rasch das Gesicht ab, als wäre ich geschlagen worden, und wollte die Schande verbergen. »Das war unmöglich von mir. Ich entschuldige mich. Liebling. O bitte, sieh mich an. Es war nur eine alte Konditionierung. Wirklich. Ich verurteile mich zu zehn Sitzungen im Trichter, im Ernst.«
»Trichter?«
»Ja. Der Läuterungstrichter. Ein Dissolator, mit anderen Worten. Du weißt schon, ein Meditationsförderungsgerät. Es sieht aus wie ein Kreisel. Man stellt es an und projiziert all seine Komplexe hinein. Es ist phantastisch. Besonders für Novizen; sie benutzen ihn dazu, sich von negativer Energie und moralischen Tabus zu befreien. Offenbar könnte ich einen Auffrischungskurs gebrauchen. Es tut mir leid. Du mußt mir verzeihen.«
Natürlich verzieh ich ihm; es wäre grausam gewesen, es nicht zu tun. Um das Thema zu wechseln, erkundigte ich mich nach seiner Mutter und seiner Schwester. Er antwortete, daß sie seines Wissens immer noch in Newacres lebten, denn seiner Mutter war bei der Scheidung das Haus zugesprochen worden. Sie pflegte immer wieder freundliche Grüße zu schicken, in Gestalt professioneller Entprogrammierer, denen er bis jetzt hatte ausweichen können. Er wollte lieber den Rest meiner Geschichte hören. »Bist du sicher?« erkundigte ich mich. »Ja, ja, selbstverständlich.« Also erzählte ich ihm von Hollymoon und meiner unvermuteten Entdeckung in den Stallungen. »Was! Junior lebt und ist ein Holostar?! Oh, der Konnex ist zu verrückt, um wahr zu sein! Nicht einmal ich war so optimistisch zu glauben, ihr könntet beide den Sturm überlebt haben. Weiter. Nur weiter.«
Ich beschrieb unsere Begegnung auf der Treppe, wie ich ihn aus dem Detektivholo erkannt hatte, und wollte eben mit einem tiefen Atemzug auf die Besonderheiten unserer Beziehungen eingehen, als er die Gelegenheit nutzte, um auszurufen: »Warte! Ist er etwa Lance London aus der Mace Pendleton-Krimiserie?« Ich gab zu, daß ich ihn unter dem Namen Lance gekannt hatte, ja, aber das war, bevor ich seine wirkliche Identität entdeckte. Das Holo, in dem wir zusammen aufgetreten waren (ich allerdings nur als Statistin), hieß Mord in Orbiter Sieben.
»Guter Chef! Das habe ich vier Mal gesehen. Sie zeigen es immer auf den Heimatflügen in den Jumbos. Junior ist Lance London? Das ist … das ist einfach sensationell! Erzähl weiter.«
Ich war einfältig genug, der Aufforderung Folge zu leisten, und auf einmal ging eine plötzliche und erschreckende Veränderung mit ihm vor. Er wurde bleich, lächelte gequält und schien nahe daran zu sein, in Ohnmacht zu fallen. »Aber Molly, das ist Inzest.«
Ratlos suchte ich in meinem Wortschatzspeicher nach, doch die trockene und knappe Definition rechtfertigte keineswegs den unheilvollen Beiklang, mit dem er das Wort befrachtet hatte. Nun ja, was immer es für ihn bedeutete, ich war sicher, er würde darüber hinwegkommen. »In den Trichter damit«, sagte ich und tätschelte ihm die Hand.
»Wir werden es versuchen, Molly. Wir werden es versuchen.«
Um ihn abzulenken, erwähnte ich, daß man bei genauer Überlegung den Eindruck gewinnen konnte, mein scheinbar planloser Weg von Newacres über Los Angeles zum Mond entspräche in etwa seinen eigenen Stationen, als hätte ein unsichtbares Band mich geleitet. Sofort wurde er wieder lebhafter und fand sich zu einem Kompliment über mein Formatierungstalent bereit. Wenn auch
Weitere Kostenlose Bücher